Cover-Bild Zorn und Stille
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24,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: allgemein und literarisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 240
  • Ersterscheinung: 05.08.2020
  • ISBN: 9783455009767
Sandra Gugic

Zorn und Stille

Roman

Was heißt es, aus einem Land zu kommen, das es nicht mehr gibt?

Die Fotografin Billy Bana ist eine moderne Nomadin, die ihre Herkunft scheinbar hinter sich gelassen hat. Als ihr Vater stirbt, wird Billy von der Vergangenheit eingeholt, ihrem Aufwachsen als Gastarbeiterkind in Wien: Was wurde aus den Träumen ihrer Eltern? Warum kam es zum Bruch mit ihrer Familie? Und wie konnte ihr kleiner Bruder bloß spurlos verschwinden? 

Ein brillant erzählter Familienroman über Freiheit und Verantwortung, Liebe und Verlust, Herkunft und Selbstbestimmung.

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Lesejury-Facts

  • Dieses Buch befindet sich bei Knorki in einem Regal.
  • Knorki hat dieses Buch gelesen.

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.09.2020

Familiengeschichte, persönliche Geschichten und Zeitgeschehen.

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Schon das Cover zog mich in seinen Bann:
Schlicht und elegant in dunklem Bordeauxrot.
Ein weißes Kaninchen mit einem traurig-mürrischen Gesichtsausdruck (soweit ein Kaninchen überhaupt einen Gesichtsausdruck ...

Schon das Cover zog mich in seinen Bann:
Schlicht und elegant in dunklem Bordeauxrot.
Ein weißes Kaninchen mit einem traurig-mürrischen Gesichtsausdruck (soweit ein Kaninchen überhaupt einen Gesichtsausdruck haben kann).

Es ist ein aus der Tierversuchsklinik gerettetes Kaninchen, das die kleine Billy von einer Tante geschenkt bekommen hat.

Der Zerfall von Jugoslawien.
Der Zerfall einer Familie.
Lebenshunger, Freiheitsdurst, der Wunsch nach Selbstbestimmung.
Die Umstände, das Schicksal, der Boden der Tatsachen.
Die Suche nach seinem Platz.
Eine Geschwisterliebe.
Verlust.

Eine Frau befindet sich in einer leergeräumten Wohnung in Belgrad und blickt durch das Fenster auf den Gehweg, auf dem sie Gegenstände aus der Wohnung gestapelt hat, die Passanten mitnehmen dürfen.
Sie beobacht das Treiben der Leute und schwelgt dabei in Gedanken und Erinnerungen.
... das ist der Prolog, der ziemlich neugierig macht.

Dann folgen vier Kapitel mit jeweils vielen kurzen Abschnitten.
Die Kamera schwenkt dabei ständig hin und her.
Von der Gegenwart zur Vergangenheit und innerhalb der Vergangenheit von einem Ereignis zum nächsten.
Sie beleuchtet mal dies, mal das. Man muss sich darauf einlassen und sollte sich nicht dagegen sträuben, dass die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird.
Ich fand diese Erzählweise sehr interessant und lebendig.

Das erste Kapitel:
Billy, September 2016.
Die 40-jährige Fotografin Biljana, genannt Billy, die das Reisen hasst und dennoch nie lange an einem Ort bleiben kann, verlässt das Flughafengebäude in Belgrad, weil ihr kürzlich verstorbener Vater demnächst hier in Serbien, seiner Heimat, beerdigt werden soll.
Billy ist eine Haltlose.
Eine Suchende.
Eine Reisende mit leichtem Gepäck und schwerer Last.

Sie kommt gerade aus Budapest, der Stadt, in der sie sich eine Auszeit von Berlin und Ira Goldfarb, ihrer langjährigen on-off-Partnerin, genommen hat.

Billy ist eine rast- und ruhelose Frau, nicht dauerhaft sesshaft und ziemlich unverbindlich und innerlich getrieben.
Ihr Leben ist ein Provisorium, ein Übergangszustand, auch ihre Beziehung ist nicht kontinuierlich.
Sie braucht immer wieder off-Zeiten, um sich von den on-Zeiten, in denen sie in einer Symbiose versinkt und sich selbst zu verlieren droht, zu erholen und wieder zu sich zu finden.

Als Heranwachsende fuhr Biljana jeden Sommer mit ihrer Familie und kiloweise Geschenken im Kofferraum in die serbische Heimat der Eltern auf den Hof der Großeltern mütterlicherseits, auf dem sie auch ihre ersten beiden Lebensjahre verbracht hat.
„Wie Außerirdische landeten sie jährlich auf einem fremden Planeten.“
Dort gab es andere Regeln, andere Sitten, andere Pflichten und eine andere Sprache.
Aber nur dort, bei den Großeltern in der Fremde fühlten sich Biljana und ihr kleiner Bruder Jonas Neven frei und unbeschwert.

Den Alltag verbrachten sie als brave und tüchtige Gastarbeiterfamilie in sehr einfachen und engen Verhältnissen in einer Vorstadt von Wien.
Das Motto: sich anpassen und um gar keinen Preis auffallen.
Am besten unsichtbar sein, um ja nicht in die Schusslinie zu geraten.

Als hätte die Anstrengung dieser Anpassungsleistung nicht schon genügt, trugen auch noch innerfamiliäre Spannungen zur Überforderung von Biljana bei.
Streit zwischen den Eltern, die sich mit Arbeiten abwechselten und nur wenig Zeit hatten, Gewaltausbrüche der Mutter, Desinteresse des wortkargen Vaters und die Notwendigkeit, sich um den jüngeren Bruder zu kümmern, trugen dazu bei, dass Biljana zu einem in sich gekehrten und braven Mädchen heranwuchs, die dann als Gymnasiastin anfing, zu rebellieren
und schließlich mit 17 Jahren von daheim auszog.

Sie flüchtete aus der engen und reglementierten Welt ihrer Eltern, wollte nichts mehr von Jugoslawien und den dortigen kriegerischen Unruhen wissen, suchte Freiheit, Selbstbestimmung und Weite.
Seither lebt sie als Nomadin.

Sie vermisst nur eines: ihren Bruder!

Eines Tages trifft sie ihn wiede und eines Tages im Jahr 2003 verschwindet er spurlos.

Es ist beeindruckend, wie reflektiert sich die Ich-Erzählerin mit ihrer Geschichte auseinandersetzt. Schonungslos erzählt sie von den erschwerten Bedingungen ihres Aufwachsens und gleichzeitig räumt sie ein und ist ihr klar , dass „die Erinnerung verkleinert, vergrößert und die Dinge verschiebt…“ (S. 29)
Ebenso gleichzeitig weiß sie, dass es gute Gründe gibt, weshalb ihre Eltern genau so wurden, wie sie sie erlebt hat.

Das zweite Kapitel:
Azra, Juli 2008.
Hier steht Billys Mutter Azra, die von ihrer Tochter Biljana verlassen wurde und deren Sohn Jonas Neven spurlos verschwand, im Mittelpunkt. Sie versucht, die Verluste zu verkraften, indem sie an einer Selbsthilfegruppe für Menschen, die einen Angehörigen verloren haben, teilnimmt und einen Hund aus dem Tierheim holt.
Es ist interessant und macht Spaß, mehr von Azra und ihrem gar nicht einfachen Leben, dem Beginn ihrer Beziehung zu ihrem Mann und von Biljanas ersten Lebensmonaten zu erfahren.

Das dritte Kapitel:
Sima, Mai 1999.
Sima, einst ein Hippie, der gern vor sich hin träumte, wanderte, lernte und las, kam als Gastarbeiter nach Wien und holte ein Jahr später Azra und ein weiteres Jahr später seine Tochter Bilja nach.
Sima machte nicht viele Worte und engagierte sich in der Erziehung seiner Kinder nicht besonders.
In einem Moment der Innigkeit schenkte er Biljana seine alte Leica, wodurch er den Grundstein für ihre Leidenschaft und berufliche Zukunft legte.
Seine Trauer über den Verlust seiner Tochter versucht er zu verarbeiten, in dem er sämtliche Zeitungsartikel über sie sammelt und in einem Ordner abheftet.

Das vierte Kapitel
Billy, Januar 2018.
In diesem abschließenden, überraschenden und originellen Kapitel kommt nicht nur Billy, sondern auch Jonas Neven zu Wort.

Es macht großen Spaß, in den Alltag dieser Familie einzutauchen und jedes Familienmitglied derart gut kennenzulernen, dass man den Eindruck hat, dazuzugehören. Die Charaktere werden in all ihrer Unterschiedlichkeit, Vielschichtigkeit und Komplexität gezeichnet.

Das äußerst interessante und unterhaltsame Buch liest sich flüssig und flott wie ein Pageturner. Die Sprache ist erfrischend, lebendig und bildhaft und so manche schöne Formulierung gibt Anlass zum Innehalten und Nachdenken.

Die eingestreuten sms-Nachrichten und ein Brief sorgen genauso wie die Perspektivwechsel für Abwechslung

Neben den persönlichen Geschichten und der familiären Tragik spielen politische Ereignisse wie eine Art Hintergrundmusik eine Rolle, wodurch es nochmal interessanter wird.

Tito, der im Mai 1980 verstorben ist.
Das Reaktorunglück 1985 von Tschernobyl.
Die Zerfallskriege in Jugoslawien.
Der Jahrtausendwechsel mit Amtsantritt von Präsident Putin und George W. Busch.
Die Anschläge vom 11.9.2001
in den USA.
Die Verhaftung des Kriegsverbrechers Radovan Karadzic, der sich als Dragon David Dabić, Arzt für alternative Medizin in Belgrad, eine Scheinidentität aufgebaut und die Menschen jahrelang an der Nase herum geführt hat.
Die Terrormeldungen aus vielen verschiedenen europäischen Städten im Sommer 2018, als ihr Vater verstarb.

Für mich ist „Zorn und Stille“ ein ganz besonderes Werk, das ich sehr gerne weiterempfehle.
Es ist eine berührende und interessante Familiengeschichte, in der jedes Familienmitglied zu Wort kommt, die Überraschungen parat hält und die eingebettet ist in das Zeitgeschehen zwischen 1980 und 2018.

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Veröffentlicht am 05.10.2020

Interessanter Roman über Heimat, Herkunft und Familie

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Inhalt:

Kurz nach Biljana Banadinowic Geburt wanderten ihre serbischen Eltern nach Österreich aus in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch das erhoffte Glück fanden sie in ihrer neuen Wahlheimat ...

Inhalt:

Kurz nach Biljana Banadinowic Geburt wanderten ihre serbischen Eltern nach Österreich aus in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch das erhoffte Glück fanden sie in ihrer neuen Wahlheimat nicht. Inzwischen, fast 40 Jahre später, ist die Familie zerrüttete. Billy, die früh gegen ihr Elternhaus rebellierte und mit 17 auszog, hat schon länger keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern. Sie hat sich als Fotografin "Billy Bana" einen Namen gemacht hat, reist durch die Welt und verweilt nie lange an einem Ort. Doch als ihr Vater stirbt, ist sie gezwungen, sich mit ihrer Vergangenheit und Herkunft und mit ihrer Familie auseinanderzusetzen. Was verbindet sie mit ihrem Heimatland? Wie konnte es soweit kommen, dass die Familie zerbrach? Und wo ist Billys vor Jahren spurlos verschwundener Bruder?

Meine Meinung:

Das Cover mit dem weißen Hasen hat mich auf Anhieb angesprochen und neugierig gemacht. Im Laufe des Buches erfährt man, was es mit dem Hasen auf sich hat, denn dieser ist nicht nur aus rein ästhetischen Gründen auf dem Cover zu sehen.

Unaufgeregt, aber eindrucksvoll erzählt Autorin Sandra Gugik die Geschichte von Billy und ihrer Familie. Der Schreibstil der Autorin ist eher speziell. Die Sätze sind zum Teil sehr lang und bestehen aus einer Vielzahl von Aufzählungen, was für mich persönlich leider etwas den Lesefluss gestört und mir den Einstieg in die Geschichte schwerer gemacht hat.

Schon vor Lesebeginn war mir bewusst, dass ich leider viel zu wenig über die Geschichte Jugoslawiens weiß. Daher hat es mir sehr gefallen und als interessant empfunden, dass der Leser im Laufe des Buches einiges darüber erfährt, beispielsweise über die Jugoslawienkriege und den damit einhergehenden Zerfall des Staates. Schon allein deshalb ist dieses Buch geschichtlich interessant und lesenswert.

Aber auch die Geschichte von Billys Familie hat mir gut gefallen. Die serbische Auswandererfamilie, die in Österreich ein neues, besseres Leben beginnen will, muss hart arbeiten, um in ihrer Wahlheimat überhaupt Fuß zu fassen, und wird doch dauernd mit ihrer Herkunft konfrontiert. Da die Kapitel aus Sicht der verschiedenen Familienmitglieder erzählt werden, lernt der Leser sie allesamt genauer kennen und bekommt einen umfassenden Einblick in ihre Gedanken, Gefühle und teils unterschiedlichen Ansichten. Gleichzeitig erfährt er immer mehr, wie es zum Bruch der Familie kam. Die Charaktere wirken sehr authentisch und sind vielschichtig. Vorallem Sima, Billys Vater, und sein innerer Konflikt haben mir gefallen. Über Billys Bruder und sein Verschwinden hätte ich gerne noch ein wenig mehr erfahren.

Neben dem geschichtlichen Hintergrund setzt sich das Buch auch mit einigen wichtigen Fragen des Lebens, wie beispielsweise mit der Frage "Was ist Heimat?", auseinander und regt zum Nachdenken über die eigenen Wurzeln an.

Fazit:

Lesenswerter, unaufgeregter Roman über eine zerrüttete Familie und den Zerfall Jugoslawiens.

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