Die brutale Zärtlichkeit!
Düster, brutal, schmerzlich poetisches Gesamtwerk einer seltsam Verlorenen. Meisterwerke einer viel zu früh Verstorbenen voller Brüche.
Dies ist wieder eine Rezension aus der Reihe "Bücher, die einen ...
Düster, brutal, schmerzlich poetisches Gesamtwerk einer seltsam Verlorenen. Meisterwerke einer viel zu früh Verstorbenen voller Brüche.
Dies ist wieder eine Rezension aus der Reihe "Bücher, die einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterließen", vor circa zwei Monaten erneut gelesen.
Sarah Kane. Wer ist diese Frau? Sie war Dramaturgin, die Theaterstücke verfasst hat, die aber weit darüber hinausgehen. Sie sind von einem lyrischen Impakt, von welchem man direkt innerlich durchgerüttelt wird. Melancholie, Zorn, Einsamkeit, Depressionen werden expressiv zur Sprache gebracht.
Ihr Leben lang litt sie unter depressiven Schüben. Schonungslos ließ sie ihre Erfahrungen damit und anderen Begebenheiten quasi roh, unpoliert und unmittelbar einfließen.
Die britische Autorin ist am 03.02.1971 geboren worden und starb durch eigene Hanbd am 20. Februar 1999.
Fünf Stücke hat sie der Welt hinterlassen. Soviel mehr hätte von ihr kommen können und unzweifelhaft wäre sie noch weltberühmt geworden, wenn nicht diese düsteren Dämonen sie stets begleitet hätten.
In diesem Buch hier sind alle fünf Stücke komplett enthalten. Als da ware: Zerbombt; Phaidras Liebe, Gesäubert; Gier; und das wohl persönlichste, autobiographische: 4.48 Psychose.
In "Zerbombt" vergewaltigt Ian offenbar die junge Cate in einem teuren Hotelzimmer in Leeds. Dann zerfällt das Setting in weitere pure Gewalt, weil offenbar ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Ian muß alsbald selbst sexuelle Gewalt erfahren, ergo bekommt seine eigene bittere Medizin zurück.
Brachial sind die Szenen, in welcher Sex als Waffe benutzt wird. Aber eine bittersüße Melancholie durchzieht atmosphärisch das Stück, wie im Übrigen ebenso die anderen Texte. Nun bleibt es der Leser / in überlassen, ob sie / er die Ereignisse für real hält oder als etwas komplett anderes.
Phaidras Liebe ist ihre Version des Phaidra - Mythos.
Hippolytos ist ein egomanischer Prinz, der nur an Sex denkt und Phaidra ist seine Stiefmutter. Sie begehrt ihn und so nimmt die Dynamik des Untergangs seinen Lauf. Sexuelle Gewalt spielt wieder eine zentrale Rolle, aber auch die Hoffnung auf wahre Liebe. Was gegen Ende passiert ist einfach nur tragisch und erinnert an "Penthesilea" von Heinrich von Kleist.
"Gesäubert" ist ein Kammerspiel, bei welchem Sarah Kane von Georg Büchner gelernt hat ohne ihn zu kopieren. Es ist offenbar das Innere einer Psychiatrie. Es geht wieder um Liebe, aber die Art von Liebe, die über Sex hinausgeht. Aber Tinker, der Psychiater hintertreibt das, manipuliert und foltert.
"Gier" ist ein Stück von vier Stimmen, die nur durch A, B, M und C gekennzeichnet sind. Es ist assoziativ und fragmentarisch. Es geht wieder um Liebe in all seinen lichten und dunklen Facetten und einer zersplitterten Psyche. Zärtlich sowie poetisch autobiographisch gefärbt.
4.48 Psychose ist ihr persönlichstes Stück, in welchem sie sich offen und "nackt" ihrer gebrochenen Psyche stellt. Das ist ebenfalls das poetischste Stück, das mir beim Lesen eher wie ein langes Poem anmutet - über vierzig Seiten. Ein Beispiel daraus gefällig?
"Gesundheit des Geistes zeigt sich im Zentrum der Konvulsion, dort, wo der Wahnsinn versengt wird von der Seele, die zweigeteilt ist." und noch eins:
Ich hab niemals kapiere was es war das ich nicht fühlen soll, wie ein Vogel im Flug am geschwollenen Himmel; mein Geist von Blitzen zerrissen, auf der Flucht vor dem Donner der nachfolgt."
Man sollte zwar beim Lesen nicht die Ratio ausschalten, aber dominieren darf sie nicht, wenn man die Essenz und die Seele sowie Geist der Texte verstehen will.
Sarah Kane war eine wirkmächtige Autorin mit einer sensationellen Ausdruckskraft. Bei ihr co-existieren blanke Gewalt, aber ebenso die Blütenknospen der Liebe und eine kleine, jedoch sachte Hoffnung.
Sie fragmentarisiert sich in ihre Stücke hinein, die mit viel Herzensblute geschrieben wurden und ihr viel!abverlangt haben müssen. Die emotionale Energie jedenfalls, die aus ihrer Meisterschaft des Wortes, der Metaphern, der Plastizität und der lyrischen Strömung ist tiefgründig und schafft es, den Leser aus seinem Equilibrium zu schleudern. In dunkle Welten, die jedoch vom Leuchtfeuer der Poesie sanft illuminiert wird und zumindest für eine kurze Weile die Dämonen in die Schatten verbannt. Aber sie lauern am äußersten Rand des peripheren Blickfeldes. Jederzeit bereit, einen zu zerfleischen, wenn das geschwächte Licht erneut verlöscht.
Schade um die hochbegabte Sarah Kane!