politisch zu einseitig, literarisch zu wenig
Inhalt
Franzisk ist ein lebensfroher, junger Mann. Auf dem Weg zu einem Konzert gerät er in eine Massenpanik, wird schwer verletzt und fällt ins Koma. Schon bald geben die Ärzte die Hoffnung auf seine ...
Inhalt
Franzisk ist ein lebensfroher, junger Mann. Auf dem Weg zu einem Konzert gerät er in eine Massenpanik, wird schwer verletzt und fällt ins Koma. Schon bald geben die Ärzte die Hoffnung auf seine Genesung auf. Auch seine Mutter und seine Freunde verlieren den Glauben daran, dass Franzisk jemals wieder aufwacht. Einzig seine Großmutter setzt alle Hebel in Bewegung, in der festen Überzeugung, dass ihr Enkel eines Tages wieder gesund wird.
Nach fast zehn Jahren geschieht dieses Wunder und Franzisk erwacht. Er muss feststellen, dass sich in all den Jahren, in denen er schlief, in seinem Land kaum etwas verändert hat. Es ist, als ob Belarus mit ihm geschlafen hätte.
Meinung
Der Roman „Der ehemalige Sohn“ von Sasha Filipenko erschien schon im Jahre 2014 in Russland und bekam dort einen renommierten Literaturpreis. Aufgrund dessen waren meine Erwartungen an den Roman zugegebenermaßen hoch. Jedoch war ich nicht darauf gefasst, dass sich schon nach ungefähr fünfzig Seiten die Enttäuschung anbahnt. Über weite Strecken des Buches empfand ich den Schreibstil als anstrengend. Zudem habe ich mich des Öfteren gefragt, welches Ziel der Autor mit seinem Roman verfolgt. Die Frage wurde für mich unzureichend, aber einfach beantwortet: Hauptsache Kritik an Belarus.
Am meisten vermisste ich eine tiefer gehende Erzählung, schlüssige Handlungen und vielschichtige Charaktere. Das alles hat der Roman leider nur ansatzweise zu bieten. Die Figuren sind an Eindimensionalität kaum zu überbieten und die gesamte Geschichte klebt vehement an der Oberfläche fest. Bis zur letzten Seite, habe ich keine Ahnung, welcher Mensch die Hauptfigur Franzisk eigentlich ist. Zu Beginn erschien er mir als ein verwöhnter, leichtlebiger junger Mann. Viel mehr habe ich auch im Verlauf des Romans nicht über ihn erfahren. Ähnlich ergeht es mir mit den weiteren Charakteren in diesem Buch.
Belarus ist eine Diktatur, das lässt sich nicht schön reden, aber diese Art und Weise der Darstellung entspricht lediglich der Sicht des Autors, der sich keinerlei Mühe gemacht hat, andere Perspektiven mit einfließen zu lassen. Dementsprechend fungieren die Charaktere entweder als Sprachrohr oder als Feindbild. Es gibt in dem Buch eine einzige richtige Meinung, die des Autors, und darauf ist alles ausgerichtet. Es ist eine politisch sehr einseitige, kritische Haltung zum Staat. Einen differenzierten Blick auf das Land sucht man in diesem Roman vergebens. Es gibt schwarz, es gibt weiß, aber absolut keine Grautöne, keinerlei Schattierungen. Mich hat es beim fortschreitenden Lesen immer mehr gestört, dass mir das Buch diese einseitige, undifferenzierte Sichtweise auf fast dogmatische Weise überstülpen möchte.
Da ich eine Freundin mit Verwandtschaft in Minsk, Belarus, habe, sprach ich mit ihr über das Land und habe dadurch einen wesentlich besseren Eindruck vom Leben dort bekommen. Dieses Gespräch hat auch meine Vermutung der eindimensionalen Betrachtungsweise bestätigt. Damit möchte ich keinesfalls eine Diktatur gutheißen, dennoch finde ich es wichtig mehr als eine Perspektive zuzulassen, um wenigstens den Versuch zu machen, ein ganzheitliches Bild abzubilden. Genau das habe ich im gesamten Roman vermisst.
Fazit
Vielversprechender Ansatz, allerdings zwingt der Autor Leser:innen seine Sichtweise auf, und erschafft weder eine lesenswerte Erzählung noch Charaktere mit Erinnerungswert.