Ein erschütterndes Dokument
Als „Zinkjungen“ werden die russischen Soldaten, die im Afghanistan-Krieg zwischen 1979 und 1989 gefallen sind, bezeichnet. Ihre oft von Minen zerrissenen Körper oder von den Gegnern verstümmelten Überreste ...
Als „Zinkjungen“ werden die russischen Soldaten, die im Afghanistan-Krieg zwischen 1979 und 1989 gefallen sind, bezeichnet. Ihre oft von Minen zerrissenen Körper oder von den Gegnern verstümmelten Überreste wurden, eben in verlöteten Zinnsärgen in die Heimat überstellt. Damit wollte man den Hinterbliebenen die Grausamkeiten ersparen. Doch neben allerlei Körperflüssigkeiten, sickerten trotzdem Brocken der grausamen Wahrheit durch und verstörten die Angehörigen.
Die Autorin interviewt ehemalige Afghanistan-Kämpfer, die heute als Schwerstinvalide oft ohne Arme oder Beine und vor allem ohne ernstzunehmende Versorgung ihr Leben fristen müssen. Man erfährt von unzureichender Ausbildung und Ausrüstung, von medizinischem Material, das noch aus Beständen des Zweiten Weltkriegs stammte und von Soldaten, die die eigenen Neuankömmlinge aller brauchbaren Dinge der Ausrüstung bzw. der mitgebrachten Lebensmittel berauben.
Sie lässt neben Soldaten, die dort gekämpft haben, auch „Umfeld“, nämlich deren Witwen, Mütter und medizinisches Personal zu Wort kommen.
Swetlana Alexijewitsch schreibt über das falsche Bild, das die Öffentlichkeit in der Sowjetunion von den Kämpfen hat. So wird den Menschen bewusst vorgelogen, für eine gerechte Sache zu kämpfen und die „südliche Grenze der UdSSR zu verteidigen“. Die Angehörigen der Soldaten erwarten Reichtümer wie Pelzmäntel oder die neuesten Videorecorder japanischer Herkunft, erhalten haben sie traumatisierte Veteranen, die selten wieder ins Leben zurückfinden. Anstatt Hilfe seitens des Staates zu erhalten, werden die Rückkehrer geschmäht und verachtet.
„Ich wurde entlassen und bekam dreihundert Rubel als einmalige Unterstützung. Für leichte Verwundung gibt es einhundertfünfzig, für schwere dreihundert“.
In ihrer unnachahmlichen Art zuzuhören, gelingt es ihr, das Vertrauen der Betroffenen zu gewinnen und die oft kaum auszuhaltenden Geschichten aufzuschreiben. Da ist z.B. diese Gedanken eines Überlebenden:
„Mein bester Freund…..er war wie ein Bruder….den habe ich von einem Einsatz in einem Plastiksack zurückgebracht. Gehäutet….den Kopf abgehauen….Arme und Beine abgehackt, ein ausgeschlachtetes Tier statt eines kräftigen jungen Mannes. Ich habe meine Wahrheit im Plastiksack getragen, ich habe vor nichts mehr Angst“.
Wie schon in ihren anderen Antikriegsbüchern kommen nicht die Politiker zu Wort, sondern die einfachen Menschen. Diesen Menschen verleiht sie ihre Stimme. Sie berichtet über die grausamen Details eines erbitterten Kampfes um jeden Zentimeter staubigen Bodens, bei dem die – sagen wir es deutlich - sowjetischen Invasoren mit aller Härte bekämpft und demoralisiert wurden. Der Vergleich mit dem nicht zu gewinnenden Vietnam-Krieg drängt sich auf.
Dieses Buch beschreibt jenen Krieg in Afghanistan, der nicht gewonnen wurde, nicht gewonnen werden konnte, der 1989 mit dem eiligen Abzug der sowjetischen Truppen endete. Ein Ereignis, das den ohnehin labilen Zustand der Region nachhaltig geprägt und verändert hat und im Kern bis heute für den Zustand Afghanistans wegweisend verantwortlich ist. Dieser Krieg hat die Taliban und deren Schreckensherrschaft erst hervorgebracht.
2015 erhielt Swetlana Alexijewitsch für ihre dokumentarischen Werke über Krieg und seine Folgen für Teilnehmer und Hinterbliebene den Literaturnobelpreis.
Meine Meinung:
Dieses Buch ist extra harte Kost, die penibel recherchiert und ohne Effekthascherei präsentiert wird. Die Autorin berichtet im Anhang über die Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung dieses Buches, denn die ungeschminkte Wahrheit wollte und will niemand hören. Denn die Öffentlichkeit muss glauben, was geglaubt werden soll. Wir müssen uns bei Swetlana Alexijewitsch bedanken, dass sie dieses Buch gegen alle Widerstände von offizieller Seite veröffentlich hat und den Opfern dieses sinnlosen Krieges eine Stimme gibt.