Fein beobachtet, wundervoll geschildert
Effi Briest lese ich immer wieder gerne. Theodor Fontane hatte einen ungemein angenehmen Schreibstil: die genauen Beobachtungen, die lebendigen Charaktere und der feine Humor. Die Geschichte fließt in ...
Effi Briest lese ich immer wieder gerne. Theodor Fontane hatte einen ungemein angenehmen Schreibstil: die genauen Beobachtungen, die lebendigen Charaktere und der feine Humor. Die Geschichte fließt in seinen Büchern immer recht gemächlich dahin, Effi Briest hat sogar noch ein verhältnismäßig flottes Tempo (für Fontane-Verhältnisse!). Es geht auch vorwiegend um die Schilderungen der Gesellschaft, der Menschen, ihrer Intentionen und Gefühle. Hier ist dies eingebettet in eine zum Ende hin durchaus dramatische Geschichte, die aber doch sehr ruhig erzählt wird, was sicher nicht jedermanns Sache ist.
Effi Briest liest sich angenehm, man ist gleich mitten in dieser preußisch-kaiserlichen Welt, die Fontane immer so exzellent zum Leben erwecken kann. Die Schilderungen der jeweiligen Orte sind detailverliebt, unterbrechen für mich aber den Erzählfluß nie. Zwischendurch gibt es einige für meinen Geschmack zu lange Exkurse zu politischen oä Themen, dies aber zum Glück weniger intensiv als zB bei Fontanes "Irrungen, Wirrungen". Die Charaktere sind auf typische Fontane-Art hervorragend geschildert.
Eine weitere Stärke Fontanes ist, daß er einige Dinge bewußt im Unklaren läßt (so zB die Ursache des Spuks) und dem Leser somit auch über das Lesen hinaus Gedankenstoff mitgibt. So gibt es zu dem Buch auch zahlreiche Diskussionen über den Spuk und natürlich die Schuldfrage(n), wenn es um Ehe, Ehebruch und den Umgang damit geht. Fontane stellt, ohne zu urteilen, die Motivationen und Gedanken mehrerer Parteien dar. Genau das ist die Stärke dieses Buches und sicher ein Grund dafür, daß es sein bekanntestes Werk ist. (Es ist auch etwas, was Hermine Huntgeburth in ihrer ausgesprochen einseitigen, von der Vorlage übel abweichenden Buchverfilmung von 2009 entweder nicht erkannt oder bewußt mißachtet hat - schade, daß hier der im Buch durchaus vielschichtige Innstetten platt zum Bösewicht und Effi eindimensional zum Opfer gemacht wurde.).
Diese vielseitigen Charaktere machen das Buch echt. Effi ist keineswegs das unschuldige übervorteilte Mädchen, auch wenn man Mitleid mit ihr empfindet. Sie ist egozentrisch, manipulativ und voller Dünkel. Andererseits aber eben auch eine Frau, die viel zu früh von ihrer Mutter in eine unpassende Ehe gedrängt und von den Gesellschaftsnormen zerbrochen wurde. Innstetten ist nicht der rücksichts- und gefühllose Mistkerl, der seine Frau schlecht behandelt, auch wenn dies gerne so gesehen wird. Fontane ermöglicht es dem Leser, sich ein genaueres Bild zu machen, wenn man richtig liest und bietet eben keine einfachen "gut-und-böse"-Lösungen an.
Die Kritik an der Gesellschaft ist hervorragend gestaltet - sie ist nie direkt, zeigt sich aber unmittelbar in den Reden und Aktionen der Charaktere, bis hin zu Nebenfiguren. Das ganze Buch ist ein großes Gesellschaftspanorama mit wundervollen Details. Es wird gut aufgezeigt, wie schwer es war, sich gegen diese Normen aufzulehnen, daß es aber doch durchaus möglich war. Genau diese Vielschichtigkeit macht das Buch so interessant und lesenswert.