Wunderbar: der Sänger in der Badewanne
Sebastian Saum zieht es knallhart durch.
Nach seinem letzten Vollbad in der Badewanne kommt er einfach nicht mehr heraus. Stattdessen reibt er die Wanne trocken, legt sich weiche Decken hinein, legt sich ...
Sebastian Saum zieht es knallhart durch.
Nach seinem letzten Vollbad in der Badewanne kommt er einfach nicht mehr heraus. Stattdessen reibt er die Wanne trocken, legt sich weiche Decken hinein, legt sich nackt in sein Nest und verlässt es nicht mehr.
Eigentlich könnte für den klassischen Opernsänger Ende dreißig alles tutti bene sein. Er hat beruflich Erfolg in einem kreativen und künstlerischen Beruf und ein gutes Auskommen, er ist bei seinen Kolleginnen und Freundinnen beliebt und er lebt mit seinem besten Freund Franz im Haus seiner verstorbenen Mutter.
Und doch steckt der Sänger in einer massiven Sinnkrise. Er hadert mit seinem Beruf. Er hadert mit seiner Beziehungslosigkeit. Er denkt über vergangene Entscheidungen nach und über die Glaubenssätze seiner Kindheit.
Der Ich-Erzähler wirkt orientierungslos und niedergeschlagen.
„Wäre ich ein Fisch, so hätte ich wenigstens eine Richtung. Und Fische singen nicht.“
Die Verweigerung in der Badewanne gibt ihm endlich den Raum, den er braucht um seine Gedanken und seine Vergangenheit zu sortieren.
In der Badewanne ist er nackt, ohne Kleider. Er denkt viel an diese Schutzhülle, an die Verkleidungen, die er auf der Bühne und im Leben trägt. Machen Kleider Leute? Er denkt auch an die verschiedenen Kleider seiner Vergangenheit, die er mit Ereignissen und Gefühlen assoziiert.
Vieles schreibt Melzer zwischen die Zeilen, wird nur leise angedeutet. Gab es schlimme Erlebnisse in der Kindheit des Sängers? Ich bin nicht sicher. Wäre er gerne Vater geworden? Im Subkontext schwingen subtile, wehmütige Untertöne von verpassten Chancen.
Es ist rührend, wie sich sein Freund Franz um ihn kümmert und die Auszeit so überhaupt erst möglich macht. Der Erzähler testet die Grenzen ihrer Freundschaft aus, indem er sich ganz in die Rolle des Unterlegenen begibt, nichts mehr in die Beziehung einbringen kann, nicht mehr nützlich ist. Aber ist es nicht das was Liebe aus macht? Für jemand da sein unabhängig von der Kosten Nutzen Rechnung?
Auch die vielen besorgten Anrufe, Genesungskarten und Blumen zeigen dem Sänger, dass er wahrgenommen und geliebt wird. Sein Fehlen wird bemerkt.
Aber reicht das aus, um wieder am Leben teilzunehmen? Wir alle spielen im Alltag verschiedene Rollen, die uns unterschiedlich fordern, passen unser Verhalten an den Kontext an, verkleiden uns und setzten manchmal sogar Masken auf?
Tine Melzer spielt in ihrem Roman mit dem Gedanken des kompletten Ausstiegs mit dem Einstieg in die Badewanne.
Auch ich empfinde den Roman als eine Art Ausstieg, als eine Möglichkeit zur bewussten Lese Entschleunigung, den die Handlung findet eigentlich nur in Sebastians Kopf und seinem Badezimmer statt. Diese Einladung mich ganz auf Gedanken des Sängers und den Roman einzulassen habe ich sehr gerne wahrgenommen. Der humorvolle Ton schafft trotz des eigentlich existenziellen Themas eine wunderbare leichte Stimmung, die aber gerade am Schluss auch etwas rätselhaftes, deutungsoffenes und tieferes enthält.
Fand ich ganz wunderbar!