Authentisch, humorvoll, und schockierend ehrlich – Toxische Pommes deckt den hässlichen Schleier des Alltagsrassismus in Österreich auf
"Immer und immer wieder wurde mir versichert, ich sei ein schönes Ausländerkind. Nicht nur Renate, auch unsere Nachbarn und die Familien meiner Freunde betonten regelmäßig, wir seien nicht wie die anderen." ...
"Immer und immer wieder wurde mir versichert, ich sei ein schönes Ausländerkind. Nicht nur Renate, auch unsere Nachbarn und die Familien meiner Freunde betonten regelmäßig, wir seien nicht wie die anderen." - S. 70
Toxische Pommes, alias Irina, Juristin in Wien und soziales Medienphänomen mit Hunderttausenden von Followern, legt mit "Ein schönes Ausländerkind" einen kraftvollen Debütroman vor, der nicht nur literarisch überzeugt, sondern auch gesellschaftliche Missstände schonungslos aufdeckt. Ihr einzigartiger Blickwinkel aus der "Ausländer:innen-Perspektive" in Österreich und ihr satirisches Kabarettprogramm fließen gekonnt in einen Roman ein, der mit Humor, Authentizität und kritischer Analyse besticht. Die lakonische Sprache nimmt besonders die Beziehung zwischen Vater und Tochter unter die Lupe, während Rückblenden die Familiengeschichte durch die Augen der Protagonistin enthüllen.
Das Cover ist eine Anspielung auf das Kapitel „A hyperrealistic photograph of a taxidermied baby lamb staring into the void“, das sich damit auseinandersetzt, warum die Protagonistin mit Migrationserfahrung, die es geschafft hat, einen sicheren Job als Vertragsbedienstete in einer Wiener Behörde zu bekommen und damit als „integriert“ gilt, nicht glücklich ist:
"Ich hatte es geschafft. Ich hatte alles erreicht, wofür meine Eltern und ich ein Leben lang hart gearbeitet hatten. Ich war perfekt. Ich war Vertragsbedienstete in einer angesehenen Behörde im ersten Wiener Gemeindebezirk. Und einen besseren Arbeitgeber als den österreichischen Staat konnte man sich nicht vorstellen: ein sicherer Job, auch in unsicheren Zeiten, feste Gehaltsstufen und klare Hierarchien. Ich hatte genug Geld, um mir gebrauchte Designertaschen zu kaufen und in Therapie zu gehen, wo ich jede Woche von einem anderen Problem erzählen konnte, das mich eigentlich kaum beschäftigte. Und trotz alledem fühlte ich mich innerlich tot." - S. 25
Der unaufgeregte, klare Schreibstil ermöglicht einen realitätsnahen Blick auf das Leben als Migrantin in Österreich. Die detaillierten Einblicke in bürokratische Hürden, Alltagsrassismus und den Weg zur Staatsbürgerschaft sind erschreckend authentisch und öffnen die Augen für gesellschaftliche Missstände, die mir zwar durch meinen beruflichen Background als Sozialarbeiterin mit u.a. Erfahrung in der Flüchtlingshilfe bewusst sind, über die man aber nicht oft genug reden/schreiben kann. Die Anspielungen auf (vermeintlich) kulturelle Unterschiede, gepaart mit der lakonischen Sprache der Autorin, bieten einen Einblick in die Vielschichtigkeit des Erlebens aus der Sicht der Protagonistin:
"Meine Eltern hatten also am Balkan gelernt, von einer hässlichen Fassade nicht unbedingt auf das Innere eines Hauses zu schließen. In Österreich lernten sie, das genauso wenig von einer schönen Fassade ausgehend zu tun." - S. 39
Die Einbindung von Textpassagen in B/K/S/M (Bosnisch/Kroatisch/Serbisch/Montenegrinisch) vermittelt nicht nur Authentizität, sondern betont auch die Schwierigkeiten der Kommunikation - vor allem da auch sehr viele Kraftausdrücke vorkommen, die übersetzt ins Deutsche wie die übelsten Schimpfwörter daherkommen, laut Autorin in der Originalsprache aber keinesfalls so derb aufgefasst werden. Die Rückblenden in die Vergangenheit der Eltern sowie die thematisierte Balkanreise verleihen der Geschichte Tiefe und emotionale Nuancen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem, Alltagsrassismus, Prestigesprachen und Zweisprachigkeit sowie der Frage nach Heimat/Identität sind erfrischend direkt und regen zum Nachdenken an. Eine meiner liebsten Textstellen erzählt von der Unterhaltung der Mutter mit der rassistischen Lehrerin:
»Zuerst meinte sie, sie verstehe nicht, warum du dich als Ausländerkind überhaupt über einen Zweier beschwerst. Und dass Ausländer bei ihr nie Einser in Deutsch bekommen«
»Darauf habe ich ihr geantwortet, dass ich ihre Logik nicht verstehe.«
»Und was hat die Pichler darauf geantwortet?«
»Sie meinte, dass du ihr vielleicht auch einfach nicht so sympathisch bist«
»Ich habe sie daraufhin gefragt, wie sie es fände, wenn sie zu mir in die Apotheke käme und ich ihr das falsche Medikament gäbe, weil sie mir vielleicht einfach nicht so sympathisch ist.« - S. 123/124
Die humorvolle Darstellung der Absurditäten, denen sich viele Menschen, die nach Österreich migrieren/flüchten, ausgesetzt sehen, bringt eine gewisse Leichtigkeit in die ansonsten ernsten Themen. Zum Ende hin hat sich bei mir kein Glücksgefühl einstellen können, denn der Preis, den jedes einzelne Familienmitglied für die Migration nach Österreich gezahlt hat, ist hoch:
"Was hat uns Österreich gekostet? Meinen Vater seine Stimme, meine Mutter ihre Lebendigkeit. Und mich? Meinen Vater." - S. 185
Insgesamt gelingt es Toxische Pommes, mit "Ein schönes Ausländerkind" einen kraftvollen Debütroman vorzulegen, der literarischen Anspruch mit gesellschaftlicher Kritik verbindet. Eine Pflichtlektüre für alle, die einen authentischen Einblick in die Herausforderungen, denen Menschen mit Migrationserfahrung in Österreich begegnen, gewinnen wollen. Ich vergebe vier von 5 Sternen.
"Ein schonungsloser Blick auf Alltagsrassismus in Österreich: 'Ein schönes Ausländerkind' hinterfragt Identität und Heimat."
Bei dem Buch handelt es sich um ein Rezensionsexemplar. Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Rezension.