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Eigentlich habe ich mich gefreut auf diese Buch, denn ich bete oft und gerne, danke dem göttlichen Wesen auch hin und wieder - in Kirchen, welcher Konfession auch immer, auf Reisen auch in stiller Andacht ...
Eigentlich habe ich mich gefreut auf diese Buch, denn ich bete oft und gerne, danke dem göttlichen Wesen auch hin und wieder - in Kirchen, welcher Konfession auch immer, auf Reisen auch in stiller Andacht in Synagogen., Meditationsashrams, Buddhistischen Tempeln und auch im überkonfessionellen Raum der Stille am Brandenburger Tor, spende für das House of One in Berlin, lasse regelmäßig meine Kirchensteuer vom Gehalt abziehen und überweise jeden Sommer einer kleinen evangelischen Kirchengemeinde nördlich der Lutherstadt Wittenberg die vom dortigen Gemeinderat empfohlene Zusatzspende, um die dortige Kirchenarbeit zu unterstützen.
Meine Freude beim Lesen von "99 Ideen fürs Beten" hielt jedoch nicht lange an. Zuerst fand ich wieder bei bestimmten Tipps: Nr. 7 Beten mit 363-Grad-Perspektive, womit danken gemeint ist - Nr. 17 alleine in einer Kirche eine Kerze entzünden - Nr, 29 in leerer Kirche Lieblingsplatz finden - Nr. 35 tagsüber Gebetsanker werfen - Nr. 51 eine Viertelstunde betend im völligen Schweigen verbringen - Nr. 54 Fürbitte durch Dank ersetzen - Nr. 74 Im kreativen Schreiben gedanklich ausatmen - Nr. 84 Von anderen Konfessionen lernen.
Okay, dass in anderen Tipps ständig auf die Bibel verwiesen wird, ist okay. Hätte man beim Buchtitel vielleicht erwähnen sollen, diese Fixierung auf das Christentum. Manches ist da etwas übertrieben bzw. ziemlich schräg: Nr. 19 Beten beim Autofahren auf bestimmte KFZ-Kennzeichen - Nr. 26 Menschen beim Einkaufen oder im Fitnesstudio segnen - Nr. 49 WhattsApp-Gebetskreis gründen - Nr. 60 Nach Smartphone-Timer-Vorgabe beten - Nr. 80 Für globale Bibelverbreitung beten - Nr. 82 Beten auf wahllos im Autoatlas aufgeschlagene Orte.
All das klingt schon ziemlich sektenhaft, ist aber noch tolerierbar. Jedoch gibt es Tipps, die mir ganz über aufstoßen: Nr. 31 Beten für Politiker - Nr. 33 Beten für stärkere Gegenkraft - Nr. 47 Gott mit Löwengebet ehren - Nr. 87 Bete mit biblischen Psalmen für Politiker
Das hinterlässt bei mir ein verdammt ungutes Gefühl. Assoziationen an die Evangelikalen Hassprediger, Abtreibungsgegener und Trump-Unterstützer in den USA werden wach und ich frage mich, wer das alles überhaupt geschrieben hat. Das kann doch nur ein Mann sein, der da ständig auf Herrn Jesus und den Herrgott und die Herren Politiker und die Autoschilder beten lässt - oder
Bingo: Autor Ulrich Wendel ist ein umtriebiger Vielschreiber aus der Szene der evangelikalen Freikirchen. Wie brutal und sektenhaft es dort zugeht, davon hat eine Aussteigerin in der TAZ berichtet. Ein absolut lesenswerter Artikel, der als Antidot für den alttestamentarischen Chauvinismus von ""99 Ideen fürs Beten" wärmsten zu empfehlen - auch und gerade Männern, die Beten und Christentum nicht als Egotrip verstehen wollen.
Was bleibt? Der olle Martin Luther, welcher mit Katharina Bora eine Nonne heiratete, die aus dem Kloster geflüchtet war. Nur. 69, das "Vierfache Kränzlein", empfiehlt zu fragen, was Gott von einem will, wofür man danken kann, wofür um Vergebung bitten und war erbitten.
Dieses Kränzlein täglich zu beten, empfehlen ich dem Herrn Autor Ulrich Wendel, auf dass er mit dem Missionieren aufhöre und den Stimmen jener Frauen lausche, die bei den Amtskirchen an die Spitze streben, Pastorinnen sind und engagierte, weltoffene, tolerante Christinnen.