Über die Gier
Teresa wacht auf. Sie ist gefesselt, kann sich nur undeutlich erinnern. Sie ist auf einem Schiff. Was ist geschehen? Teresa ist als Fischereibeobachterin auf den Weltmeeren unterwegs; ein undankbarer Job, ...
Teresa wacht auf. Sie ist gefesselt, kann sich nur undeutlich erinnern. Sie ist auf einem Schiff. Was ist geschehen? Teresa ist als Fischereibeobachterin auf den Weltmeeren unterwegs; ein undankbarer Job, der ihr ein Herzensanliegen ist, aber auf wenig Gegenliebe bei den Fischern stößt. Autor Wolfram Fleischhauer verbindet ihre Geschichte mit der von Johann „John“ Render, ihrem Lebensgefährten und EU-Funktionär sowie der von Ragna und Antonio Di Melo, Vater und Tochter. Er ist ein Karrierist auf der internationalen Bühne, spezialisiert auf Fischerei, sie ist Umweltaktivistin zum Schutz der Meere. Beide haben sich entfremdet – und mit den falschen Leuten eingelassen. Einige davon sind wohl die Buzuals, Vater und Sohn, sowie der Thailänder Subatra – große Nummern in der Fischereiindustrie. Und dann ist da noch Adrian, Ragnas Jugendliebe, Dolmetscher, er erzählt, wie die Geschichte aller zusammengeführt wurde.
„Von zwei Dingen sollte man nie wissen wollen, wie sie gemacht werden: Politik und Würste.“ So lautet der Spruch, der im Büro von John Render hängt. Er bildet die Fischereibeobachter aus, sieht die Gefährdung der Meere und ist doch meist ernüchtert ob der wenigen Möglichkeiten, die den offiziellen Stellen bleiben. „Manche Arten schaffen es nicht einmal mehr, den Nachwuchs bis zur normalen Geschlechtsreife durchzubringen, weil wir überall zu früh abfischen.“ Bei den Zitaten hat mir Google geholfen, denn ich habe das Hörbuch genossen – die Sprache ist plastisch, Fleischhauer schafft es, die Situation gut darzustellen und dem Leser/Hörer nahezubringen. Überfischung, illegales Fischen geschützter Arten und deren Umetikettierung, Beifang, Müllberge im Meer. Neu waren mir Quasi-Sklavenarbeit auf einigen Trawlern, Gewalt gegen die völlig ungeschützten und oft rechtlosen Fischereibeobachter, Bergbau auf dem Meeresboden. Und das Ende empfand ich als sehr zum Tenor des Textes passend.
Die Handlung ist spannend, gerade dadurch, dass regelmäßig die Perspektiven wechseln zwischen den oben genannten Protagonisten und weiteren. Lange weiß man nicht, wer auf wessen Seite steht und wie mit wem zusammenhängt. Dazu macht der Autor eindeutig klar, dass es um Geld geht, viel Geld, durch eine Steigerung der Ausbeute ohne Rücksicht auf Verlust, sei es bezüglich des Ökosystems Meer, der Fische, bei denen der extrem hohe Beifang von 80 Prozent gleich wieder entsorgt wird, noch in Bezug auf Menschenleben. Die drastische Handlung der Aktivisten wird bestimmt nicht beschönigt, jedoch wird der Leser allein durch die Fakten zum Umgang mit dem Meer definitiv vor die Frage gestellt, welche Lösungen er bitte als Alternative vorschlagen würde. Da ist keine Öko-Romantik, die nächsten Beispiele zur Plünderung, ohne an ein Morgen zu denken, folgen – sei es Sand, Müll, Bananen. Der Ton ist sachlich, nüchtern, plastisch, aber auch mit einem zynischen Humor (herrlich der EU-Funktionär, der seine Bananen erst nach einem Blick in seine Kontrollliste verspeisen möchte). Das Hörbuch wurde gelesen von Johannes Steck, den ich als sehr angenehm empfand – er interpretiert allerdings weniger jede wörtliche Rede mit einer anderen Stimmlage, wer darauf Wert legt, die einzelnen Personen konnte ich dennoch jederzeit unterscheiden.
was störte? Nun, das alles kam als Hörbuch gut rüber, jedoch hätte ich mir für die vielen genutzten Abkürzungen im EU- und Rechte-Dschungel ebenso eine Liste gewünscht wie für die wichtigsten Namen auf der sehr schön gestalteten Hülle (hörend bekommt man die einfach nicht so zuverlässig mit). Und bei den wenigen englischsprachigen Sätzen fand ich Sprecher Steck nicht wirklich überzeugen (failure klang wie failer) – was aber angesichts der sonst wirklich tollen Lesung kein so schlimmes Manko war. Ach, und die sehr langen und häufigen Beschreibungen der Fischvergiftungen – das wirkte auf mich fast schon komisch, da hätte weniger gereicht.
4 ¾ Sterne, natürlich aufgerundet.