Vom Scheitern guter Absichten
Seid ihr schon mal aus ganzen Herzen überzeugt gewesen, das Richtige zu tun, und musstest hinterher feststellen, das es falsch war? Oder wolltet einem Menschen helfen, doch die Hilfe war nicht das, was ...
Seid ihr schon mal aus ganzen Herzen überzeugt gewesen, das Richtige zu tun, und musstest hinterher feststellen, das es falsch war? Oder wolltet einem Menschen helfen, doch die Hilfe war nicht das, was dieser Mensch in dem Moment brauchte? Diesen und ähnlichen Fragen geht Wytske Versteeg in ihrem Debütroman nach.
Mari, die eigentlich Archäologin ist, wollte es anders machen und engagierte sich für ein Projekt, das Geflüchteten helfen soll, in den Niederlanden anzukommen. In einer spießigen Kleingartenanlage namens Paradies. Einer von ihnen ist Ahmad, ein arabischer Flüchtling, mit dem sie eine kurze Beziehung hat und der just an dem Tag verschwindet, als das Gartenhaus abbrennt. Mari, zutiefst enttäuscht, verlässt ihr Zuhause und begibt sich auf die Suche nach Felsmalereien in Ahmads Heimatland. Wieder mit guten Absichten, denn sie denkt, mit ihrer Arbeit den Tourismus ankurbeln zu können. Doch das Land hat ganz andere Problem, wie schnell deutlich wird. Dort begegnet sie Tarik, der vor seiner Vergangenheit in ein kleines Dorf geflüchtet ist. Niemand in dem Dorf weiß, dass er als Aufseher in einem Lager gearbeitet hat, aus dem Menschen verschwanden, die gegen die Regierung rebelliert haben. Immer wieder werden Leichen vom Fluss angeschwemmt, die er wortlos beerdigt. Doch dann holt ihn seine Vergangenheit ein, denn Mari bittet ihn, Ahmads Aufzeichnungen vorzulesen, die er ihr hinterlassen und in seiner Muttersprache verfasst hat. Er schrieb sich alles von der Seele, worüber er geschwiegen oder gelogen hat. Nicht nur über die Gründe seiner Flucht, die lange Odyssee durch Flüchtlingslager mit katastrophalen Verhältnissen. Er findet auch harsche Worte für ihre erdrückend guten Absichten, seine Verachtung für sie und ihre sensationslüsternen Landsleute.
»Ich bin nicht die Geschichte, die du aus mir machst und anderen gegenüber im immer selben Wortlaut wiederholst, ich bin keine Puppe, die du verbiegen, verrenken, hinsetzen kannst, wie es dir gefällt, das Rot, das du siehst, ist eine blutende Wunde.« S.147
Versteegs Buch lässt sich nicht leicht in Worte fassen, auch hatte ich so meine Startschwierigkeiten, und sicherlich lässt es sich auf verschiedene Weise lesen, denn sie wirft viele Fragen auf. Eine davon ist, wie wir mit Flüchtlingen umgehen. Sachbearbeiter, die ausgelaugt, müde sind, immer wieder die gleichen Fragen stellen, sich aber nicht wirklich für die Schicksale der Menschen interessieren. Flüchtlinge, die schnell lernen, dass die Wahrheit einen nicht weiterbringt, es besser ist, zu lügen und sich zu verbiegen.
»So freundlich sie hier auch alle waren: Alles schien darauf ausgelegt zu sein, mich nicht zu hören.« S.150
Versteeg schreibt von einer katastrophalen europäischen Flüchtlingspolitik, von gescheiterten guten Absichten und dennoch heißt der letzte Satz im Buch:
»Und da ist so viel Hoffnung.«
Sie widmet allen drei Figuren eine eigene Perspektive, verwebt sie miteinander. Jeder der drei ist auf der Suche nach sich selbst und gleichzeitig auf der Flucht, fühlt, was Fremdsein bedeutet. Immer wieder kreist sie um richtig und falsch, kurbelt mein Gedankenkarussell an, hält mir den Spiegel vor, stellt Fragen, gibt mir aber keine Antworten, die muss ich schon selbst finden. Am Ende liegt sehr viel darin, was nicht gesagt wird.
Sie schreibt zärtlich, fast schon leise, an anderer Stelle wird sie laut. Ihr Text ist oft schmerzhaft, wenn sich beim Lesen eine Erkenntnis einstellt, dass unser Leben oft aus vielen Missverständnissen besteht, aus Ängsten, Schweigen und falschen Erwartungen. Herausragend war für mich, wie sie sich in die einzelnen Charaktere hineinversetzen konnte. Ein großartiges Stück Literatur von brisanter Aktualität, das sehr lange nachhallt.