Kalte Havel
Wie schon der Titel des Buches unschwer erkennen lässt, spielt die Handlung in der Gegend um Potsdam und weitgehend an der Havel.
Es ist Oktober. Hauptkommissar Toni Sanftleben kommt aus seinem unbezahlten ...
Wie schon der Titel des Buches unschwer erkennen lässt, spielt die Handlung in der Gegend um Potsdam und weitgehend an der Havel.
Es ist Oktober. Hauptkommissar Toni Sanftleben kommt aus seinem unbezahlten Urlaub zurück, als die Staatsanwältin Caren Winter ihn um Hilfe bittet, denn ihr Sohn ist verschwunden. Alexander war am Abend zuvor mit seinem Freund Hendrik zur Sacrower Heilandskirche gefahren, wo dieser am Morgen erschossen aufgefunden worden war, während von Alexander jede Spur fehlt. Sie wendet sich an Toni, weil sie weiß, dass er Erfahrung darin hat, verschwundene Personen aufzustöbern, war er doch viele Jahre lang auf der Suche nach seiner eigenen Frau, und da waren seine Recherchen von Erfolg gekrönt.
Toni kniet sich in den neuen Fall, auch wenn seine spontane Rückkehr in den Beruf nicht von allen Kollegen gerne gesehen wird. Er weiß, dass die Zeit drängt und Alexander schnell gefunden werden muss, falls er überhaupt noch lebt. Die Spuren führen ihn an düstere, einsame Orte, beispielsweise zu den Beelitzer Heilstätten. Der tote Hendrik war ein Rebell, und in den maroden Gebäuden dort traf er sich mit Gleichgesinnten. Welche Rolle spielte Alexander Winter dabei? Wen wollten die beiden jungen Männer an der Sacrower Heilandskirche treffen und was ist dort passiert? Warum wurde Hendrik erschossen und wo ist Alexander jetzt? Es stellen sich Fragen über Fragen zu diesem mysteriösen Fall.
Dies ist Toni Sanftlebens zweiter Fall, und ich habe mich sehr gefreut, wieder von dem sympathischen Hauptkommissar zu lesen und Neues über ihn zu erfahren. Toni hat es nicht leicht, denn eigentlich ist er beurlaubt, um sich um seine Frau zu kümmern, deren Gesundheit noch nicht wieder hergestellt ist und die für vieles noch Hilfe benötigt. Wie es zu dieser Situation kam und wie das alles zusammenhängt, ist das große Thema des ersten Bandes. Was man aktuell wissen muss, erfährt man durch eingestreute Bemerkungen und Erinnerungen, so dass man „Kalte Havel“ auch lesen und die Zusammenhänge erfassen kann, wenn man die Vorgeschichte nicht kennt. Allerdings ist es schöner, wenn man die Bücher in chronologischer Reihenfolge liest, denn dann wird die Beziehung zwischen den Protagonisten einfach klarer, und man kann sich von den einzelnen Personen ein besseres Bild machen. Die Protagonisten sind ausführlich charakterisiert und sehr realistisch dargestellt, und doch kann man sie oft nicht auf Anhieb richtig einschätzen; man lernt sie erst mit der Zeit kennen. Diese kluge Taktik, wichtige Details erst nach und nach zu offenbaren, führt den Leser immer wieder auf falsche Fährten und erhöht die Spannung. Dazu tragen auch kleine Cliffhanger bei, die geschickt an manchen Kapitelenden angebracht sind. Man rätselt mit, man zerbricht sich den Kopf, und oft erhält man im nächsten Kapitel Informationen, die einen alle bis dahin angestellten Vermutungen wieder verwerfen lassen.
Auch in Tonis Privatleben tut sich so einiges, und es ergeben sich auch hier erstaunliche Wendungen, mit denen ich für meinen Teil nicht gerechnet hätte.
Neben einer fesselnden Handlung bietet dieser Roman aber auch noch einiges mehr, denn der Autor führt seine Leser zu außergewöhnlichen, manchmal auch ein wenig unheimlichen Schauplätzen, zu alten, teilweise verfallenen Gebäuden mit historischem Hintergrund. Die geschilderten Orte strahlen einen morbiden Charme aus, und es hat mich fasziniert, die Protagonisten in diesem Umfeld zu „beobachten“. Wer, so wie ich, gerne Bilder betrachtet, um sich die Atmosphäre und die Handlungsorte noch besser vorstellen zu können, sollte es nicht versäumen, auf Tim Piepers Website vorbei zu schauen, denn dort hat er ergänzend einige interessante und sehr brillante Fotos veröffentlicht, die einem die Schauplätze noch besser und intensiver nahe bringen.
Dies ist ein rundum gelungener Krimi, bei dem ich mitraten und mitfiebern konnte. Das Ende bot für mich einige Überraschungen und lässt mich nun ganz ungeduldig auf den dritten Band warten, denn ich möchte unbedingt wissen, wie es Toni, seiner Familie und seinen netten und auch weniger netten Kollegen weiterhin ergeht. Aber bis dahin ist Geduld gefragt, denn der nächste Band wird wohl erst Anfang 2018 erscheinen.