Gefühlschaos
Die Glasschwestern, Dunja und Saphie, sind am selben Tag geboren und ihre Männer am selben Tag gestorben. Der eine fiel vom Gerüst und der andere vom Hometrainer. Nachdem sie beide unter die Erde gebracht ...
Die Glasschwestern, Dunja und Saphie, sind am selben Tag geboren und ihre Männer am selben Tag gestorben. Der eine fiel vom Gerüst und der andere vom Hometrainer. Nachdem sie beide unter die Erde gebracht haben, zieht Dunja, die mit ihren zwei Kindern in der Großstadt lebt, zu ihrer Zwillingsschwester Saphie in deren Hotel aufs Dorf an der ehemals deutsch-deutschen Grenze. Neben den Zwillingsschwestern und Dunjas Kinder ist da noch ihre jüngere Schwester Lenka, die Diva, die ihr absolutes Eigenleben führt.
Sie sinnieren über den Sinn des Lebens, über das „was wäre gewesen, wenn…“. Saphies Lebenssinn war das Hotel, dachte sie. Ohne Gilbhart dann doch nicht. Sie verpackt das Leben mit ihm in stabile Pappkartons, welche sie nie wieder auspacken wird. Ich sehe das als Metapher, als Endgültigkeit. Stück für Stück hat sie sich nach Gilbharts Tod befreit, nun vollzieht sie den letzten Schritt in ein neues, befreites Ich. Dunja definierte sich über ihre Kinder. Und nun? Stellen beide fest, dass das Leben doch noch Anderes bereit hält.
An den Schreibstil musste ich mich erst gewöhnen, aber schnell empfand ich diese Erzählweise angenehm und sehr unterhaltsam. Zunächst fremdelte ich mit den einzelnen Kapitel-Überschreibungen. Als ich mich ins Buch eingelesen habe, blätterte ich nochmal zurück und sah die Sprichwort-Überschriften mit ganz anderen Augen, hatten diese doch zu dem Geschriebenen durchaus einen Bezug. Ich finde das sehr poetisch und nicht alltäglich. Auch die ungewöhnlichen Namen leiten sich laut Autorin von den altdeutschen Monatsnamen ab. Wenn man diese Hintergrundinformation erst einmal hat, sieht man so manches klarer.
Das Buch sorgte für Gefühlschaos. Gleich zu Anfang wusste ich nicht recht, was anfangen mit dieser Einführung ins Leben der Zwillingsschwestern. Ich legte das Buch beiseite und gab ihm dann doch eine zweite Chance. Je weiter ich las, desto mehr gefiel mir die Story, das Geheimnisvolle um den Tunnel und das schwer greifbare Wesen, den gläsernen Menschen. Was habe ich hineininterpretiert in diese beiden unbekannten, schwer zu fassenden, immer wieder vorkommenden Hirn-Gespinsten. Dem Schluss fieberte ich ob dieser Unwägbarkeiten entgegen. Was daraus geworden ist? Der gläserne Mensch? Taucht immer wieder auf, sehr geheimnisvoll – zu Anfang des Buches öfter und irgendwie läuft er schön langsam ins Leere – er verschwindet. Sobald die beiden Schwestern ihren eigenen, ihren künftigen Weg gefunden haben, wird er nicht mehr gebraucht, er hat sich selbst erledigt. Die Sache mit dem Tunnel hat mir nicht so gefallen. Was war hier die Message?
Ein Buch, das man liest und zwischendurch immer mal wieder weglegen, den eigenen Gedanken Raum lassen muss. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt. Leben wir nicht alle ein Leben mit allen denkbaren Höhen und Tiefen und dann kommt irgendein Ereignis und alles ist plötzlich ganz anders. Man folgt einem anderen Weg als den, den man für sich vorgesehen hat.
Franziska Hauser gibt dem Leser Denkanstöße mit auf den Weg, will nicht belehren, will anregen, seine eigene Interpretation finden, mutig sein.
Das alles ist positiv und abseits des Mainstreams, jedoch finde ich die Spannung, die offenen Fragen, welche während des Lesens immer wieder aufkamen, so gar nicht gelöst. Das allzu banale Ende hat mich doch sehr enttäuscht zurückgelassen (der gläserne Mensch, der Tunnel, das Familiengeheimnis, die ach so taffe und jetzt kreuzbrave Lenka), auch wenn im Großen und Ganzen die Denkanstöße und das eigene Vorstellungsvermögen im Vordergrund standen. Eine Geschichte, die wohl nicht für jeden das Richtige ist. Wer jedoch ein nebulöses, interpretationsfähiges Ende bevorzugt, der wird hier wohl seine Freude am Lesen haben.