Überraschend tiefgründig
"Flaues Gefühl im Magen und Butter in den Knien. Geländer fleckig oxidiert, der Beton voller Flechten und Moose. Beinahe wie etwas Natürliches, vielleicht ein Felsen im Mittelmeer. Nichts wirft Schatten ...
"Flaues Gefühl im Magen und Butter in den Knien. Geländer fleckig oxidiert, der Beton voller Flechten und Moose. Beinahe wie etwas Natürliches, vielleicht ein Felsen im Mittelmeer. Nichts wirft Schatten auf einen Siebener. Es fühlt sich an wie das Dach der Welt." (S. 231)
Es riecht nach Pommes, Chlor und warmen Gras. Sonnenstrahlen kitzeln in der Nase, das Leben hält für einen Sommertag inne, alles scheint friedlich. Die Wärme lockt die Bewohner von Ottersweier ins Freibad, doch der Tag wird von einem Ereignis in der Vergangenheit überschattet, infolgedessen auch der große Sprungturm geschlossen ist. Die Erinnerung an einen Unfall mit fatalem Ausgang im vergangenen Herbst liegt noch allzu präsent in der Luft. Doch das Freibad stellt einen ganz eigenen Kosmos dar, in dem sich bekannte und unbekannte Wege kreuzen und Menschen am Abend mit neuen, geteilten Erinnerungen wieder auseinandergehen. Und so begleiten wir eine Handvoll Menschen an diesem schönen Tag. Zum Beispiel Renate, die vom Kassenhäuschen aus zuschaut, wie sich die Liegewiese allmählich füllt. Mit Bademeister Kiontke besuchen wir sie hin und wieder und erleben, wie er mit Schuldgefühlen anlässlich des Unglücks kämpft, das er nicht abzuwenden vermochte. Wir gehen zu Sergej an den Kiosk, der uns mit einer frischen Portion Pommes und mit Flutschfingern versorgt und begleiten ein Mädchen, welches vom geschlossenen Siebener unbedingt den Seemann machen will - ein wahrlich halsbrecherischer Sprung ins kühle Nass.
Noch so einige engmaschig verstrickte Lebensgeschichten mehr treffen in diesem begrenzten Raum des Freibads, an diesem schönen, hitzigen Sommertag aufeinander. Zu Beginn waren mir die Figuren zu stereotypisch gestaltet, aber ab der zweiten Hälfte des Romans haben sie an Tiefe gewonnen. Auch der Schreibstil hat sich im Verlauf stark verändert, zuerst rau und mit Hang zum Plumpen wurde er zusehends feiner, ausgeschmückter und angenehmer zu lesen. Auf alle Fälle jedoch kommt eine immer stärkere Freibadstimmung auf: Gerüche, Gefühle, Geräusche, die eigene Erinnerungen wachrufen.
Tobende Kinder, störende Bienen, jeder hängt in der Sonne irgendwie seinen Gedanken nach, sinniert vor sich hin. Ein schönes atmosphärisches Buch für den Frühling, das große Lust auf Sommer macht und mit überraschendem Ende inklusive wow-Effekt überzeugt!