Zeitgeist der 60er-Jahre
Nach „Die Welt war eine Murmel“ nimmt Herbert Dutzler mit „Die Welt war voller Fragen“ die Leser wiederum mit auf eine Zeitreise in die 60er-Jahre.
Worum geht es?
Der erwachsene Siegfried räumt nach ...
Nach „Die Welt war eine Murmel“ nimmt Herbert Dutzler mit „Die Welt war voller Fragen“ die Leser wiederum mit auf eine Zeitreise in die 60er-Jahre.
Worum geht es?
Der erwachsene Siegfried räumt nach dem Tod der Mutter das Elternhaus. Anhand von Fotos, Spielsachen und Ziergegenständen erinnert er sich an Begebenheiten aus seiner Kindheit, an schulische Probleme ebenso wie Familienstreitigkeiten, an die technischen Errungenschaften sowie die damals geltenden Benimmregeln und Rollenbilder.
Wie Band 1 ist auch dieses Buch eine edel ausgeführte Hardcover-Ausgabe mit Lesebändchen. Am Cover ist ein Junge teilweise abgebildet, in für die 60er Jahre typischer Schiausrüstung. Das Buch erschien 2023 und ist in 15 kurze Kapitel mit Überschriften unterteilt. Der Schreibstil ist flüssig und humorvoll. Es wechseln sich die Erzählungen aus der Kindheit mit den Gedanken bzw. der heutigen Meinung des zurückblickenden erwachsenen Siegfried ab, letztere sind in Kursivschrift gehalten. Ich kannte bereits Band 1, doch sind die Bücher jeweils unabhängig voneinander lesbar.
Der 13-jährige Siegfried, mittlerweile im Gymnasium, ist ein aufgeweckter Junge, der lieber liest als Sport zu betreiben, der nicht nur gerne isst, sondern sich auch fürs Kochen interessiert, was dem damaligen Rollenbild so gar nicht entspricht. Wissensdurstig wie er nun mal ist, hinterfragt er in seiner kindlichen Neugier auch manches, worauf die Lehrer keine Antwort wissen oder geben wollen, sich sogar provoziert fühlen. Er gilt als vorlaut und frech. So kassiert er statt Anerkennung negative Klassenbucheintragungen. Nicht nur im Gymnasium gibt es Probleme, auch zuhause hängt der Haussegen schief, als die Mutter darauf drängt, arbeiten zu gehen und den Führerschein zu machen, sehr zum Verdruss des Vaters.
Die handelnden Personen wirken generell sehr lebendig, gut vorstellbar und authentisch, auch Nebenfiguren wie Großeltern, Lehrkörper oder Schulkameraden. Sigi steht natürlich im Mittelpunkt. Und Sigi hat auch mein Herz erobert, insbesondere auch durch seine aufmerksame Art der Mutter gegenüber, der er im Haushalt hilft, so gut er kann. Er ist der einzige, der anerkennt, was sie für die Familie leistet. Auch seine Art, mit all den Ungerechtigkeiten zurechtzukommen; sich zurücknehmen und zu schweigen statt aufzubegehren, ist beeindruckend.
Ich (Jahrgang 1953) bin wieder in meine Jugendzeit eingetaucht, erinnerte mich an viele der genannten Fernsehsendungen, noch in Schwarz-weiß, natürlich daran, wie aufregend die Mondlandung war, aber auch an die langen Haare mancher Burschen und die negativen Reaktionen darauf. Auch ich war immer eine Leseratte und las gerne Karl May, ebenfalls die Donauland-Ausgabe. Ganz nostalgisch wird einem zumute, liest man die Autotypen von damals: Opel Rekord, VW Käfer, Ford Taunus. Ich finde, es ist dem Autor ausgezeichnet gelungen, die Gedankenwelt und die Ereignisse dieser Zeit aufleben zu lassen und zu vermitteln, insbesondere die weiblichen und männlichen Rollenbilder, das Schulwesen und das Tabuthema Nazi-Vergangenheit. Menschen, die in dieser Zeit aufwuchsen, werden wie ich das Déjà-vu genießen und für jüngere, denke ich, sollte es nicht uninteressant sein, etwas darüber zu erfahren, in welchem Umfeld ihre Großeltern aufwuchsen.
Eine unbedingte Leseempfehlung!