Wenn das Leben Schatten zwischen Mutter und Tochter wirft
St. Goar am Mittelrhein ist der Wohlfühlort, an dem die Welt noch in Ordnung ist. Hier kann man die Seele baumeln lassen und sich vom Stress der übrigen Welt wieder erholen.
Das gilt auch für Hanna und ...
St. Goar am Mittelrhein ist der Wohlfühlort, an dem die Welt noch in Ordnung ist. Hier kann man die Seele baumeln lassen und sich vom Stress der übrigen Welt wieder erholen.
Das gilt auch für Hanna und Elsa, Mutter und Tochter, die gemeinsam das Haus ihrer Tante Toni in St. Goar geerbt haben. Nur verstehen sich die beiden nicht sonderlich gut.
Hanna lebte mit der Familie in New York. Die Familie bestand aus ihrem Mann Richard, ihrer Tochter Elsa und ihr. Nach einer Zeit im Büro der UNO erhält sie die Chance, weltweit als Koordinatorin in Krisengebieten eingesetzt zu werden. Ihr Mann ist zwar nicht glücklich darüber, stimmt aber letztendlich zu, die Tochter tut sich mit den ständigen Abschieden deutlich schwerer. Und natürlich verpasst Hanna auch einen Großteil von Elsas Kindheit, Auftritte in der Schule, Sportveranstaltungen, Einladungen, das alles entgeht ihr. Trotzdem: Elsa hängt an ihrer Mutter und möchte es ihr in allem recht machen. Erst ein von Hanna verpasster Ballettauftritt, den Elsa noch mit verstauchtem Fuß absolviert, weil sie ihre Mutter im Publikum wähnt, führt zum Bruch. Zum Bruch nicht nur Elsas mit ihrer Mutter, sondern letztendlich auch zum Bruch zwischen den Ehepartnern.
Nun sind die beiden seit 10 Jahren geschieden und Elsa hat unterdessen Karriere als Anwältin gemacht. Am internationalen Gerichtshof in Den Haag vertritt sie Straftäter, denen nicht nur ein Mord sondern Völkermord zur Last gelegt wird. Trotz der schwierigen Situation ist Hanna unglaublich stolz auf ihre Tochter, ein Vorfall vor 10 Jahren verbietet ihr aber, ihr das jemals zu gestehen. 2023 jedoch erleidet Elsa einen Burnout und hofft, an ihrem alten Wohlfühlort am Mittelrhein wieder gesund zu werden und Kräfte zu tanken. Dort trifft sie auf ihre Mutter, die gerade mit Renovierungsarbeiten begonnen hat.
Der Roman erzählt in Gegenwart und Rückblenden aus der Vergangenheit aus dem Leben der Frauen. Dabei sind die Passagen, die von Hannas Arbeit bei der UNO berichten, zwar interessant, aber nicht das eigentliche Thema. Hier hat die Autorin auf eigene Erfahrungen in vergleichbaren internationalen Organisationen zurückgegriffen.
Es geht um eine zunächst aussichtslos erscheinende Beziehungsstörung zwischen Mutter und Tochter. Hanna versucht, an Elsa heranzukommen und Elsa tut alles, damit ihr das nicht gelingt.
Da muss nicht nur bildlich gesprochen ein Sturm aufziehen, damit beide ihr Schweigen überwinden. „Der Morgen nach dem Regen“ hinterlässt nicht nur in der Natur ein totales Chaos, sondern auch im Kopf von Hanna und Elsa. Hanna entscheidet sich endlich, das Schweigen zu brechen, das ihr Verhältnis so lange belastet hat. Sie tritt als Mutter in Vorleistung, aber erst, als sie schon nicht mehr daran glauben will, kann sie doch noch den Zugang zu ihrer Tochter finden. Dass auch Tante Toni mit ihren Lebensweisheiten und Ratschlägen immer mal wieder auftaucht, ist ein schönes Stilmittel. Es ist, als ob sie ihnen zurufen würde: Wir haben nur ein Leben, nur eine Chance, das Beste daraus zu machen.
Mich hat das Buch aus verschiedenen Gründen angesprochen. Einmal lebe ich als Mittelrheinerin in diesem schönen Tal und freue mich, es als Wohlfühlort und Zufluchtsort beschrieben zu sehen. Aber ich fand auch die Quintessenz des Buches ausgesprochen wichtig. Wenn man gut miteinander leben will, dann ist es auch schon mal nötig, über den eigenen Schatten zu springen, sich seine eigenen Fehler einzugestehen und im ehrlichen Gespräch zu bleiben. Wie beschreibt es Silvia, die Pianistin aus der Nachbarschaft so schön:
„Der richtige Zeitpunkt, etwas aus der Welt zu schaffen, ist immer jetzt“