Die Stadt Oran wird von rätselhaften Ereignissen heimgesucht. Die Ratten kommen aus den Kanälen und verenden auf den Straßen. Kurze Zeit später sterben die ersten Menschen an einem heimtückischen Fieber, und bald ist es nicht mehr zu leugnen: Die Pest wütet in der Stadt. Oran wird hermetisch abgeriegelt. Ein Entkommen ist nicht möglich.
«Sie gingen weiter ihren Geschäften nach, bereiteten Reisen vor, bildeten sich Meinungen. Wie hätten sie einen Gedanken an die Pest verschwenden sollen, die jede Zukunft unmöglich macht, Reisen storniert, den Austausch von Meinungen zum Schweigen bringt?»
Es sind Passagen wie diese, die Camus' Klassiker zu neuer Wucht verhelfen, die ihn auch für die heutige Zeit unverzichtbar machen.
Ich fand Epidemien wie die Pest schon immer spannend, aber das ich ausgerechnet dieses Jahr nach dem Buch gegriffen habe, ist bestimmt kein Zufall.
Und das ist auch der hervorstechendste Charakterzug ...
Ich fand Epidemien wie die Pest schon immer spannend, aber das ich ausgerechnet dieses Jahr nach dem Buch gegriffen habe, ist bestimmt kein Zufall.
Und das ist auch der hervorstechendste Charakterzug des Werks: Die Zeitlosigkeit der Erzählung. Ob Camus daran gedacht hat, dass es nicht lange dauert, bis man das Buch wieder auf die Realität anwenden kann?
Etwas anderes hat auch meine Aufmerksamkeit erweckt: Die Art der Erzählung. Es fällt mir sehr schwer, diese zu klassifizieren. Soll sie den Schein einer wahren Begebenheit kreiren? Oder eher im Gegenteil einen literarischen Meilenstein schaffen? Das war beim Lesen nicht klar, aber genau das macht es so besonders. In einem vorgestellten Kapitel spricht der Erzähler über sich in der dritten Person, offenbart aber seine Identität noch nicht, mit den Worten, dass man sie noch früh genug erfahren werde. Das erhöht die Spannung und verwebt seine eigene Identität gleichzeitig mit der Geschichte.
Ab dem ersten richtigen Kapitel nimmt er dagegen eine weitestgehend neutrale Rolle ein. D.h., dass er bis auf ein paar dezente Wertungen hier und da über seine eigene Funktion nicht viele Wörter verliert.
Manchmal habe ich den Schreibstil als erstaunlich nüchtern wahrgenommen. Beinahe genervt wird von den Rattenplagen, den Sterbenden, Überlegenden und Kranken berichtet. Als wäre alle Hoffnung verloren und als hätte der Erzähler selbst alle Lebensenergie verloren. Das sorgt natürlich nicht für gute Gefühle beim Leser, sondern vermittelt diesem gerade die richtige Note an authentischer Atmosphäre.
Da ich es als Hörbuch gehört habe, höre ich immer noch wie ein Phantom die Stimme des Sprechers im Kopf. Er hat es großartig gemacht. Die Stimme ist wie gemacht für Erzählungen wie diese und hat mich sehr an die Vertonung von "Der goldene Handschuh" erinnert. Wahrscheinlich derselbe Sprecher? Und dieser Vergleich zeigt auch die Ähnlichkeit der beiden Werke an sich. Sie sind beide düster und zeigen Missstände an. Haben außergewöhnliche Erzähler. Das sollte als Orientierung dienen.
Wenn ich mich aber richtig erinnere, dann bietet "Die Pest" viel mehr Auslegungen und gesellschaftliche Relevanz. Die vielen Zitate hier sollen das zeigen. Und genau deswegen ist das visuelle Lesen von Erzählungen wie dieser auch viel ergiebiger. Man möchte sich Anmerkungen machen und Dinge reinschreiben. Das ging so leider nicht. Deswegen werde ich es bestimmt nochmal lesen.
Es ist jetzt schon einen Monat oder so her, dass ich das Buch gehört habe. Zeitgleich habe ich "Léon und Louise" gelesen, somit zwei französische Kriegserzählungen parallel. Doch unterschiedlicher hätten sie nicht sein können. Komplett verschiedene Perspektiven.