Die Schweizer Autorin Alice Gabathuler hat einen neuen Thriller herausgebracht: “Hundert Lügen”. Die Geschichte eines Geschwisterpaares, das Schlimmes erlebt hat und auf der Flucht vor der Vergangenheit vor eben jener eingeholt wird. Ein Buch über die Geheimnisse einer Familie, Traumata, Lügen und der Wahrheit, die sich gnadenlos ans Licht drängt. Intensiv, bewegend und voller Dramatik erzählt. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Zürich. Nach zehn Jahren treffen sie wieder aufeinander. Die Geschwister Manon und Kris. Ein dramatisches Ereignis in ihrer Kindheit hat sie auseinandergerissen. Hat ihre gesamte Familie zerstört und ihre Mutter das Weite suchen lassen. Seitdem waren Manon und Kris in Internaten untergebracht, entfernt auch vom Vater, einem reichen, erfolgreichen Geschäftsmann, der sich auf das Sanieren von maroden Firmen spezialisiert hat. Dieser hat bereits eine neue Familie gegründet. Hat eine neue Frau und zwei kleine Kinder. Doch jetzt sind Drohungen gegen die Familie aufgetaucht und Manon und Kris werdenzu ihrer eignen Sicherheit in das Anwesen ihres Vaters bestellt. Dort treffen die beiden zusammen und müssen sich den Schatten ihrer Vergangenheit stellen. Denn die schreckliche Wahrheit von damals kennen sie beide nur bruchstückhaft…
Wenn Alice Gabathuler eines kann, dann sehr atmosphärisch zu schreiben. Sie packt ihre Leser förmlich im Nacken und zieht sie ganz tief hinein in den Sog der Geschichte. “In meinem Inneren drehte sich eine Rasierklinge. Sie drang in meine Erinnerungen und zerfetzte sie. Bilder, Wörter und Gedanken wirbelten durcheinander. Kris brachte das Chaos mit einem einzigen Satz zum Stillstand.” (Zitat S.99) Der Anfang wirkt mitunter noch etwas befremdlich, die Anspielungen auf Drachen und Prinzessinnen etwas zu überbordend. Aber wenn man nach und nach die Zusammenhänge einordnen kann und immer mehr Geheimnisse gelüftet werden, kommt man nicht umhin den Schrecken jener Vergangenheit dadurch besser zu verstehen. “Am Anfang hoffte ich, Mama würde zurückkommen, wenn ich ein braves Mädchen war. Doch Mama kam nicht zurück. […] Ein braves Mädchen zu sein half nicht. Ich hörte auf, mir Mühe zu geben. Ich hörte auf, brav zu sein. Meine Noten sausten nach unten. Meine Lehrer waren ratlos. Stig auch. Er schickte mich in Therapie. Ich weigerte mich über den Sommer zu sprechen, der alles verändert hatte.” (Zitat S.29ff) Der Spannungsroman wird in sich abwechselnden Kapitel jeweils von Kris und Manon in der Ich-Perspektive erzählt. Es ist erschreckend zu lesen, welche Schuld die beiden unabhängigvoneinander empfinden und wie sehr dieses Ereignis ihrer Kindheit, um das lange Zeit ein Geheimnis gemacht wird, sie zerstört hat. Kris — ein Meister im Wegrennen und Manon, die bereits einen Suizidversuch hinter sich hat. Selbst diese Tat im Alter von 13 Jahren hat es nicht geschafft, sie zusammenzuführen. Kris hat sie kein einziges Mal im Krankenhaus besucht. Sich der Vergangenheit zu stellen, das versucht er erst jetzt: “Ich konzentrierte mich aufs Atmen, auf den Rhythmus meiner Schritte. Meine Gedanken und Gefühle wurden klarer. Ich rannte nicht weg. Ich rannte auf die Wand zu, die mich von Mano trennte. Wenn ich sie niederriss, weckte ich die Geister der Vergangenheit. Auch den Drachen. Davor hatte ich einen Heidenschiss.” (Zitat S.55) Ab der Mitte des Buches wird es zunehmend turbulenter und nervenaufreibender und man möchte das Buch bald gar nicht mehr aus den Händen legen!
Fazit: Die Geschichte einer Familientragödie in einen fesselnden Thriller eingebaut.