Auf dass die Fernsehgeräte schmoren!
Ein weiterer Roman über die tiefen Abgründe der menschlichen Seele
Folgende Grausamkeit erweist sich als die beste Produktionsidee in der Geschichte des Fernsehens (und aller anderen Medien): Gecastete ...
Ein weiterer Roman über die tiefen Abgründe der menschlichen Seele
Folgende Grausamkeit erweist sich als die beste Produktionsidee in der Geschichte des Fernsehens (und aller anderen Medien): Gecastete Aufseher wachen auf brutalste Weise über Gefangene eines Lagers, kommandieren sie herum, entscheiden über deren Leben - oder Tod.
Helden der Show sind die ausgemergelten Gefangenen, die wissen, dass sie hier sterben werden. Umso verlockender für das Publikum, dass es per Fernbedienung täglich zwei ihrer Lieblinge für die Show opfern kann.
Nothomb wurde für ihre außergewöhnlichen Werke bereist vielfach ausgezeichnet. Unverkennbar ist ihr oft morbider Zynismus, der auch im vorliegenden Werk für die richtige Würze verantwortlich ist.
Man merkt schon, dass die Autorin privat ihre Freunde am liebsten auf dem Friedhof trifft, es blickt einfach durch. So passen ihre Pointen vollkommen natürlich ins Bild: Sie fühlt sich wohl auf dem Gebiet der bitterbösen Menschlichkeit.
Ich habe durchaus schon vernichtende Kritik zu Reality-Show gelesen, die sich hauptsächlich an den minimalistischen Schreibstil klammerten. Der führt beinahe unweigerlich dazu, dass dem Leser die Aufgabe gegeben wird, selbstständig Bruchstücke zu nutzen und besonders feinfühlig solche zu Persönlichkeiten zusammenzusetzen. Die Charaktere halte ich somit absolut nicht für flach oder seelenlos. Sie sind, was der Leser aus ihnen macht, so wie die Grausamkeit der Show mit dem Namen Konzentration ist, was das Publikum von der Show verlangt (wenn auch zum Teil unbewusst).
Zugegebenermaßen entspricht dieses Werk der Autorin, vermutlich weniger als ihre anderen Arbeiten, nicht unbedingt den Lesebedürfnissen der breiten Masse. Viele Leser sind, verständlicherweise, denkfaul. Sie wollen ein gemachtes Nest mit ausgereiften Figuren. Schließlich sind sie die Konsumenten, nicht selber die Autoren. Gerade auch weil es sich um ein seitenarmes Buch handelt, erwartet der Leser nicht wirklich, sein eigenes schöpferisches Talent nutzen zu müssen.
Nothomb hätte locker drei- bis vierhundert Seiten Reality-Show schreiben können. Wie der Titel aber schon sagt, ist die Handlung so realitätsnah, sind die Charaktere so typisch, dass nur die Zutatenliste erforderlich ist, um zu wissen, wie der Eintopf gekocht werden muss. Es ist nicht erforderlich, zu erklären, dass es sich um diese spezielle Art von Eintopf handelt, die man eigentlich zu jeder Gelegenheit servieren kann.
Wenn man meint, die Unglaubwürdigkeit dieses raffinierten Werkes beweisen zu können, muss man vor idiotischen Fernsehsendungen wie Promi-Big-Brother die Schweinsäuglein verschließen. Dazu kommt, dass sogar eine Utopia-Show geplant ist. Quasi noch eine experimentelle Schippe drauf. Man nutzt die Natur willenloser und geldhungriger Menschen, um aus ihnen Versuchskaninchen für die eigenen unglaublichen Versuche zu machen. Solange es Zuschauer gibt, gibt es auch Freiwillige, die sich erniedrigen lassen. Solange es Zuschauer gibt, ist die Art dieser Erniedrigung ein Spiegel unserer Gesellschaft.