Cover-Bild Guter Mann im Mittelfeld
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22,90
inkl. MwSt
  • Verlag: Nagel & Kimche
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 352
  • Ersterscheinung: 24.08.2015
  • ISBN: 9783312006694
Andrei Mihailescu

Guter Mann im Mittelfeld

Roman
Bukarest 1980: Der Journalist Stefan Irimescu wird verhaftet, weil er kritische Leserbriefe nicht weiterleitete, um deren Verfasser zu schützen. Er landet im Gefängnis und wird im Namen des Kommunismus gefoltert und eingeschüchtert. Als er freikommt, trifft er Raluca – Ehefrau von Ilie Stancu, einem vielversprechenden Parteisekretär des Bezirks. Sobald die Affäre Stancu zu Ohren kommt, lässt er sich scheiden und nimmt das Angebot seines Freundes von der Securitate an, sich an Stefan zu rächen. Andrei Mihailescu, der zu Beginn der 80er selbst mit seiner Familie aus Rumänien in die Schweiz floh, ist ein atemlos spannender Roman gelungen über das Leben, die Liebe und die kleinen Fluchten in einer gnadenlosen Diktatur.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.03.2022

Der Schatten hat tausend blaue Augen

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Ich hatte vor circa drei Monaten dieses Buch schon einmal rezensiert, es nun aber noch einmal gelesen. Deswegen habe ich die alte Rezension gelöscht und veröffentliche nun eine revidierte.

Es ist äußerst ...

Ich hatte vor circa drei Monaten dieses Buch schon einmal rezensiert, es nun aber noch einmal gelesen. Deswegen habe ich die alte Rezension gelöscht und veröffentliche nun eine revidierte.

Es ist äußerst spannend sowie fesselnd, über Rumänien und die unheimliche Securitate zu schreiben. Deswegen ist dieser Komplex auch einer meiner bevorzugten Themen meines eigenen schriftstellerischen Schaffens. Andrei Mihailescu weiss, einen zu inspirieren, auf eine faszinierende und düstere Weise.

Der DSS (Departament Securitatii Statului). Es heißt, dass auf fünfzig Rumänen ein Securist (Secu) kam. Wenn man die Einwohnerzahl Rumäniens von 1980 zugrunde legt, ist die Zahl leicht auszurechnen. Geschweige die endlose Schar an informellen Mitarbeitern, von denen allerdings viele zur Mitarbeit gezwungen worden sind

Bukarest 1980: Journalist Ștefan Irimescu ist in seinen Dreißigern, Single und lebt bei seiner Mutter. Das goldene Jahrzehnt Rumäniens ist vorbei und Land wie Leuten geht es immer schlechter, nur nicht der kommunistischen Nomenklatur, natürlich unter seiner Hoheit Fürst Nicolae Ceaușescu und Fürstin Elena.

Ștefan arbeitet für eine renommierte Zeitung und sein Chefredakteur steht hinter ihm – zunächst. Aber die Dinge wenden sich zu seinen Ungunsten..

Verstrickt in einem immer erstickenderen Netz der berechtigten Paranoia, kann man sich wohl zurecht immer und überall beobachtet und verfolgt wähnen. Augen all überall.

Natürlich ist bei dieser Zeitung auch ein Secu nebst eigenen Büro vertreten, der ein scharfes Auge auf alles Unbotmäßige hat. Of!

Ștefan, der in sich einen Rebell verborgen hat, wagt es, kritische Leserbriefe nicht an jenen Offizier weiterzugeben, wie es eigentlich vorgesehen ist. Das ist seine Art des Widerstands, um zumindest etwas Widerstand gegen das System zu leisten.

Allerdings zeitigt das äußerst bittere Folgen für ihn, denn er wird für eine Woche verschleppt, festgesetzt im Gefängnis und von dem DSS gefoltert.

Als er freikommt, lernt er durch Zufall lernt er die Architektin Raluca kennen. Sie bringt den Verletzten ins Hospital.



Sie lernen sich näher kennen und beginnen eine Affäre. Ilie Stancu ist Ralucas Ehemann, aus der Provinz und ein aufstrebender Parteisekretär.

Dieser hat ohnehin Minderwertigkeitskomplexe seiner gebildeten und urbanen Frau gegenüber und kaschiert das dadurch, daß er sie verspottet und fordert, dass sie nach der Geburt des Sohnes zu Hause zu sein hätte. Sie verhielte sich im Namen des Sozialismus für eine Frau unangemessen. Sie habe gefälligst noch die Quote zu erfüllen und vier weitere Kinder zu bekommen.

Er erfährt jedoch und dennoch von jener Affäre seiner Frau mit Ștefan. Er zieht die Scheidung durch. Ein Freund von dem DSS macht ihm ein verführerisches Angebot, wie er an Ștefan Vergeltung üben kann. Der tiefe Fall Ștefans und Ralucas hat damit gerade erst begonnen ...

2015 wurde dieses Debüt von Andrei Mihailescu veröffentlicht. Er ist 1965 in Bukarest geboren und floh 1981, mit seiner Familie, in die Schweiz.

Er hat Informatik, Politikwissenschaften und Ethnologie studiert.

Er schafft es hier, die Beklemmung und Bedrückende jener Epoche exzellent und sehr authentisch wiederzugeben. Es passt, gerade jetzt in diesen Tagen dieses Buch gelesen zu haben, weil sich nun die ( unvollendete ), verratene Revolution von Spätdezember 1989 zum 32. Mal gejährt hatte, was Ceaușescus Sturz und Exekution nach sich zog.

Anfang der 80er Jahre erkannte der im Größenwahn gefangene "Vater" des Landes offenbar nicht, wie er das Volk ausblutete. Kaum noch Lebensmittel, die für alle ausreichten, stundenlanges Anstehen, Schwierigkeiten mit Wärme und Strom.

Und dann überall die unerbittlichen Machtstrukturen, auf die der Diktator noch zählen konnte. Der offizielle DSS ( Securitate ) mit seinen nicht wenigen Mitarbeitern und den bereits zahllosen Spitzeln im ganzen Land. Kein Wunder, dass das dazu führte, dass alles in Auflösung begriffen war, eine auszehrende Krankheit namens Regime.

Und dann das Eingesperrtwerden wegen kleinster Kleinigkeiten, Denunziation, Folter der psychischen und körperlichen Art. Quälende Verhöre, bei denen die betreffende Person nur verlieren konnte. Grausam und inhuman. Nach wie vor steht eine Aufarbeitung dieser Jahrzehnte aus. Lieber wird verdrängt und vergessen, inklusive der verratenen Revolution, über die man ebensowenig sprechen will. Sogar Schreibmaschinen mussten registriert werden, sonst galten sie als illegal und waren mit Gefängnisstrafe zu ahnden.

Dieses Überwachungsapparat und der staatliche Terror hat für immer kollektiv etwas zerstört, das nie mehr heilen kann. Es ist in die Seelen der Menschen damals gedrungen und hat sie im Grunde zerschmettert. Kein Wunder, wenn man dann sogar Angst vor dem eigenen Schatten bekam und absolut niemandem traute. Absolut nachvollziehbar.

Das Buch ist packend und wühlt auf, ist emotional und weist ein unerwartetes Ende auf. Ich mag Ștefan und Raluca sehr. Secus wurden auch das blaue Auge genannt – wegen der blauen Aufnäher auf dem Kragenspiegel und der blauen Umrandung der cascheta (Offiziersmütze).

Andrei Mihailescu schreibt in einem fließenden und becircenden Schreibstil, der durchaus sehr einnimmt. Ein äußerst wichtiges Buch, weil viele über diese Zeit kaum etwas wissen oder über Rumänien wissen. Was schade ist, denn das Land hat viele faszinierende Facetten. Aber leider ist ein Teil des Westens noch zu sehr von sich selbst eingenommen, arrogant und paternalistisch. Zu sehr kreist der westliche Blick um den eigenen, egozentrischen Bauchnabel. Dafür ist aber ein anderer Teil des Westens umso engagierter, wissbegieriger und schaut weit über den eigenen ach so harmonischen Tellerrand hinaus. Wird endlich Zeit, dass ärgerliche Vorurteile, die nicht nur über Rumänien kursieren, sondern insgesamt über Südosteuropa passé sein werden.

Mulțumesc! An Andrei Mihailescu, daß er dieses Buch geschrieben hat. Wäre das schön, das Buch in Rumänisch lesen zu können.

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Veröffentlicht am 28.05.2017

"Die Teilnahme ist freiwillig, aber obligatorisch"

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Stefan Irimescu ist ein angesehener Journalist im kommunistischen Rumänien. Alle waren stets zufrieden mit seiner Arbeit, doch Stefan beginnt sich die Frage zu stellen, ob alles tatsächlich richtig ist, ...

Stefan Irimescu ist ein angesehener Journalist im kommunistischen Rumänien. Alle waren stets zufrieden mit seiner Arbeit, doch Stefan beginnt sich die Frage zu stellen, ob alles tatsächlich richtig ist, was er tut. Als er eines Tages verprügelt von Raluca, der Frau eines angesehenen Parteisekretärs, auf einer Baustelle gefunden wird, nimmt die Geschichte ihren Lauf und und sein Leben wird nie wieder das Gleiche sein.

Das Cover finde ich sehr ansprechend. Der Mann strahlt Entschlossenheit aus, der hochgestellte Kragen lässt auf Vorsicht schließen. Beides Eigenschaften, die Stefan Irimescu auszeichnen oder ihm zum Verhängnis werden könnten.

Normalerweise meide ich Bücher mit politischen Themen, da sich mich schnell langweilen und oft zu langatmig sind, aufgrund ihrer facettenarmen Darstellung. Dieses Buch hier, sollte mich eines besseren belehren.
Der Schreibstil hat mir von Anfang an gefallen. Das Buch ließt sich schon relativ anspruchsvoll und man muss ständig konzentriert bleiben, um nichts von der Handlung zu verpassen. Das finde ich aber gar nicht schlecht und auch nicht anstrengend, denn die Thematik ist äußerst interessant dargestellt.
Man merkt deutlich, dass sich der Autor viel Mühe gegeben hat auch scheinbar unwichtige Details hervorzuheben und, dass er ausgezeichnete Arbeit bei der Recherche geleistet hat.
Was mich persönlich ein wenig gestört hat, waren die vielen Namen. Man ist schnell durcheinander geraten und für jemanden, der mit der rumänischen Sprache nicht so vertraut ist, könnten sie sicherlich ein gewisses Hindernis darstellen.
Schön fand ich allerdings die zahlreichen Einschübe auf rumänisch, die dann anschließend übersetzt wurden, das hat das Buch für mich sehr authentisch gemacht.
Die Hauptpersonen sind auch gut getroffen. Stefan als der eiserne Rebell, der nicht einmal vor der Frau eines Parteisekretärs zurückschreckt. Hier und da fand ich ihn ein wenig zu naiv und blauäugig, sodass ich die Augen über seine Unvorsichtigkeit verdrehen musste. Dennoch bewundere ich seinen Willen im Land etwas zu ändern und sich gegen das System zu stellen.
Raluca dagegen eine Frau, die versucht sich eine Karriere unabhängig von ihrem Mann Ilie aufzubauen und dafür verspottet wird. Auch sie erschien mir hier und da ein wenig zu hilflos und zerstreut, das passte aber ganz gut zu ihrer Rolle.
An manchen Punkten ging mir die Geschichte ein wenig zu schnell, da hätte ich gerne ein wenig mehr Hintergrundinformationen schön gefunden und an anderen war mir die Geschichte ein wenig zu vorhersehbar, aber in einer so undurchsichtigen Zeit war das mit Sicherheit von Vorteil.
Besonders gut gelungen finde ich, dass die Hauptpersonen nicht als die klassischen Romanhelden dargestellt werden, denen alles auf Anhieb gelingt und die nie einen Rückschlag erleiden müssen. Vor diesem Hintergrund gefällt mir besonders das Ende, aber hier möchte ich nicht zu weit vorgreifen.
Andrei Mihailescu schafft es mit seinem Roman dem Leser einen fantastischen, berührenden Einblick in eine Zeit zu liefern, die, wie ich finde, häufig zu schnell unter den Teppich gekehrt wird.

Fazit:
"Die Teilnahme ist freiwillig, aber obligatorisch." Dieser Satz hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und beschreibt für mich das Buch, ja das ganze Regime in einem Satz.
"Guter Mann im Mittelfeld" ist kein staubtrockener Polit- Roman, an dem man wochenlang zu kauen hat, sondern eine erschreckend authentische Darstellung einer furchtbaren Zeit. Eine ganz klare Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Das Rumänien Ceaușescus in den Achtzigern wird nachvollziehbar gemacht in starken Sätzen

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In seinem Debütroman schildert der in Rumänien geborene und bis zur Flucht im Alter von 16 Jahren dort aufgewachsene Autor Andrei Mihailescu, wie ganz normale Durchschnittsbürger, nicht die Mächtigen und ...

In seinem Debütroman schildert der in Rumänien geborene und bis zur Flucht im Alter von 16 Jahren dort aufgewachsene Autor Andrei Mihailescu, wie ganz normale Durchschnittsbürger, nicht die Mächtigen und nicht die Ärmsten, die Diktatur unter Ceaușescu erlebten.

Seine Protagonisten Stefan und Raluca stellen zwei Seiten einer Medaille dar, die – anfänglich gut integriert, er als Journalist, sie als Architektin und Ehefrau eines aufstrebenden Parteimitglieds, mit dem System in Reibung geraten. Mihailescu arbeitet anhand der Handlung überdeutlich heraus, wie leicht es war, aufgrund der großen Willkür plötzlich unter Druck zu geraten – und wie fast unmöglich, diesem standzuhalten. Der Autor lässt seine beiden Figuren aus einer Grenzsituation eine Liebesbeziehung eingehen, von der aus sich die Handlung dann rasant fortentwickelt, spannend, aber kein Krimi. Er schafft es, viel Sachinformation leicht zugänglich als Erzählung zu verarbeiten.

Der Roman präsentiert in den ersten beiden Kapiteln das gleiche Geschehen aus zwei verschiedenen Blickwinkeln – wer sich darauf einlässt, wird mit einem tiefen Einblick in das Wesen der vollständigen Kontrolle des Systems durch eine „fiktive Abmachung“ mit den Mächtigen, eine Art Schere im Kopf. Das Buch liest sich insgesamt flüssig, dieser gerade erwähnte Rücksprung wieder zurück zum Anfang hingegen empfiehlt sich aufgrund seiner Komplexität jedoch durchaus für einen vergleichenden Rückgriff auf das bereits gelesene, eine kleine Schwäche. Wer sich jedoch auf diesen Rückgriff einlässt, wird belohnt.

Das Buch hat seine Stärken vielleicht nicht in den Metaphern, aber ganz sicher entfaltet es große Bildkraft in etlichen Kernsätzen und –absätzen, die beim Lesen zu weiteren Assoziationen geradezu zwingen und dadurch die Mentalität, die Situation überdeutlich greifbar machen. So entlarvt die Einstellung von Ralucas Ehemann, die Arbeit seiner Frau als Architektin sei zu intellektuell für das proletarische Ideal, schließlich solle sie nicht den ganzen Tag auf Baustellen mit Arbeitern verbringen, die Widersprüchlichkeit der üblichen Phrasen – die Arbeiter dürften wahrlich dem zitierten Ideal entsprechen. Und wie bemerkt Stefan zu dem verbreiteten vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Partei „Wenn du hingegen denkst, du hättest mit ihnen eine Abmachung, dann sind sie in deinem Kopf" – ja, genau das gelingt dem Autor mit diesem Debüt, er gelangt direkt in den Kopf des Lesers, er macht nachdenklich – und neugierig auf mehr davon, sowohl von ihm, als auch von seinem Land. Den teils erhobenen Zeigefinger kann ich dabei sehr gut verschmerzen, da die Botschaften der Handelnden dem Leser nie moralinsauer oder herablassend übermittelt werden.