Cover-Bild Hinter den Mauern der Ozean
Band der Reihe "Tapir"
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22,99
inkl. MwSt
  • Verlag: Diogenes
  • Themenbereich: Belletristik - Dystopische und utopische Literatur
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Ersterscheinung: 24.07.2024
  • ISBN: 9783257615364
Anne Reinecke

Hinter den Mauern der Ozean

Die Welt ist im Wasser versunken. Der Stadtkern Berlins ist innerhalb einer gigantischen Mauer verschont geblieben. Fünf Menschen leben darin, fünf ›Ewige‹, die jeden Sommer den anreisenden ›Fremden‹ die alte Welt zeigen und ihr Wissen weitergeben. Im Winter sind sie sich selbst überlassen und leben und lieben in verschiedenen Konstellationen. Wird eine der zwei Frauen und drei Männer krank oder altert, verschwinden sie und ein Kind gleichen Namens und gleichen Aussehens kommt in die Stadt. Bis eine der ›Ewigen‹ diesen Zyklus durchbrechen will.

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Veröffentlicht am 22.08.2024

Berliner Dystopie

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Berlin, eine Insel. Berlin, die Mauerstadt. Das gab es schon einmal. Doch in Anne Reineckes Roman "Hinter den Mauern der Ozean" geht es nicht um die Vergangenheit im Kalten Krieg, sondern eine ferne Zukunft, ...

Berlin, eine Insel. Berlin, die Mauerstadt. Das gab es schon einmal. Doch in Anne Reineckes Roman "Hinter den Mauern der Ozean" geht es nicht um die Vergangenheit im Kalten Krieg, sondern eine ferne Zukunft, gestaltet durch Klimakatastrofe und wer weiß, was noch. Berlin ist von einer hohen Mauer umgeben und jenseits der Mauern ist Land unter. Wie weit sich dieser Ozean erstreckt, bleibt unklar. Das Meer ist, der hohen Mauer wegen, nicht zu sehen, höchstens je nach Jahreszeit zu hören oder zu riechen.

Und Berlin ist nicht länger eine Millionenmetropole sondern die Heimstatt der fünf "Ewigen" - Lola, Friedrich, Wilhelm, Alexander und Else. Lauter Namen, die fest mit preußischem/Berliner Kulturgut und Historie verbunden sind. Sind auch die Fünf mehr Symbol als echte Menschen? Als Bewahrer des kollektiven Gedächtnisses der "Alten" haben sie eine Rolle zu spielen. Sind sie überhaupt Menschen oder eine Art Klon? Wenn eine*r von ihnen alt wird, kommt die Zeit des "Entschwindens" - und der Ersatz durch ein Kind gleichen Namens, wohl auch ähnlicher Persönlichkeit?

Erzählt wird aus der Perspektive von Lola, der bis dahin jüngsten der der Ewigen. Die anderen waren alle schon da, als sie als Kind dazukam. Ihre Vorgängerin hat sie nie kennengelernt, das ist unüblich. So bleibt die "alte Lola" für sie ein Rätsel. Friedrich, der älteste der fünf, steht Lola nahe und plant mit ihr eine Flucht, im selbstgebastelten Ballon über die Mauer - noch so eine Reminiszenz aus der Zeit der Berliner Mauer. Lola ist auch die einzige, die in das eigentlich verbotene ungesicherte Gebiet vordringt, in dem sie Spuren der Vergangenheit vor der Zeit der Ewigen sucht.

Vieles bleibt rätselhaft. Reinecke lässt in ihrem Buch Leerstellen und Interpretationsspielräume, die die Lesenden selbst mit ihrer Vorstellungskraft füllen können. Wie die Ewigen ausgesucht werden, was aus ihnen wird, wenn sie durch ein jüngeres Exemplar ersetzt werden bleibt ebenso offen wie die Frage, ob die Berliner Insel Schutzzone oder Gefängnis für die Hüter des Wissens ist. Auch die Begegnung mit den Fremden, die einmal im Jahr kommen und mit denen die Kommunikation nur über Übersetzer möglich ist, wirft Rätsel auf: Gehören sie überhaupt derselben Spezies an? Was wurde aus dem Rest der Menschheit? Wo leben die Fremden? Was existiert jenseits des Berliner Mauerrings? Ist diese Existenz die Folge einer ökologischen Katastrofe, eines Krieges oder eines Zusammenspiels mehrerer Faktoren?

Reineckes Sprache ist teils poetisch, teils archaisch im Stil alter Epen oder der Bibel, wenn die Ewigen mit den Fremden sprechen. Das Setting ist mystisch und geheimnisvoll. Ein ungewöhnliches Buch, das manche Antwort offen lässt und gerade deshalb zum Nachdenken anregt.

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Veröffentlicht am 18.08.2024

Ruhige und poetische Dystopie aus Berlin

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Heute habe ich wieder eine Empfehlung für meine Bookies mit einer Vorliebe für Dystopien. Und für alle Berlinerinnen. Aber da der Roman von Anna Reinecke nicht die dystopischen Elemente in den Vordergrund ...

Heute habe ich wieder eine Empfehlung für meine Bookies mit einer Vorliebe für Dystopien. Und für alle Berlinerinnen. Aber da der Roman von Anna Reinecke nicht die dystopischen Elemente in den Vordergrund stellt, ist der Roman natürlich für alle Leserinnen empfehlenswert, die Lust auf Literatur haben.

Wie schon in ihrem ersten Roman „Leinsee“ hat Reinecke auch diesmal wieder Berlin als Schauplatz des Geschehens gewählt. Kein Zufall, lebt die Autorin doch selbst seit längerem in der deutschen Hauptstadt.

In einer nicht näher benannten Zukunft ist die Welt in Wassermassen versunken, das trockene Berlin ist von einer hohen Mauer (!) umgeben und geschützt. In der leeren Stadt leben fünf Menschen:

„Wir sind fünf. Wir sind ewig. Wir sind sterblich.
Wir sind Friedrich, Wilhelm, Alexander, Else und Lola.
Ich bin Lola. Es gab mich vor mir, und es wird mich nach mir geben. Kein Anfang, kein Ende.“

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive von Lola erzählt. Die Informationen, die sie über ihre Welt und die Geschichte hat, sind spärlich und so bleibt auch den Leserinnen vieles der Fantasie und der eigenen Interpretation überlassen. Es die Art von Dystopie, die als Tableau für Gedankenexperimente konstruiert ist, was Reinecke hier sehr stimmig und stimmungsvoll gelungen ist.

Jeden Sommer öffnen sich die Tore und es kommen Schiffe mit Fremden für ein obskures Sightseeing in Stadt. Für jeweils zwei Wochen bekommen einzelne Gruppen von Lola und den vier anderen Ewigen in ausgedehnten Stadtführungen die Berliner Sehenswürdigkeiten der Vergangenheit gezeigt. Im Winter sind die Fünf sich selbst überlassen und werden mit Lebensmittelpaketen versorgt. Wenn eine
r von ihnen zu alt ist, taucht eine Kinderversion auf, so dass es eine kurze Zeit zwei Versionen des gleichen Menschen in der Stadt gibt. In jung und in alt, bis die ältere Version dann verschwindet.

Durch die kleine Zahl an Individuen sind gesellschaftliche Konventionen wie Monogamie oder Heterosexualität längst aufgelöst.
Auch Lola hat einen Menschen, zu dem sich immer wieder hingezogen fühlt. Die Individualität der Menschen führt manchmal zu zwischenmenschlicher Reibung und Misstrauen.
Reinecke beschreibt, wie es selbst in einer so kleinen Gemeinschaft Geheimnisse und Zwist geben kann, aber auch viel Liebe und Fürsorge.

Lola ist bewusst, dass sie, obwohl wie Gött*innen verehrt und versorgt, eingesperrt und gefangen sind. Sie sind dem Wohlwollen anderer ausgeliefert.
Im Kern des Romans steckt die zentrale Frage: Was ist Freiheit und was sind Menschen bereit zu opfern, um sie zu erlangen.

Es ist bezeichnend, dass es die Stadt Berlin ist, um die (wieder) eine Mauer errichtet ist. Die überlieferten Geschichten von Grenzüberschreitungen, die die Fünf sich erzählen, klingen bekannt und vermischen sich mit der deutschen Vergangenheit. Aber auch mit unserer globalen Geschichte, denn Flucht, untergehende Welten und daraus resultierendes Leid gibt es überall und zu allen Zeiten.

„Hinter den Mauern der Ozean“ ist ein ruhig erzählter, poetischer Roman, der mir viel Raum für meine eigenen Gedanken lässt. Auch die Entfremdung der Schauplätze und Gegenstände, die ich aus Berlin kenne, finde ich sehr reizvoll. Eine toller Zuwachs in der neuen Diogenes Tapir Reihe, mit der der Verlag neues literarisches Terrain erkunden will.

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