Zwischen Emanzipation und Liebe
Bereits zum vierten Mal lässt Anne Stern ihre Leserinnen (beziehungweise in diesem Fall: Hörerinnen) an der Geschichte der Berline Hebamme Hulda Gold im Berlin der 1920-er Jahre teilhaben. War Hulda in ...
Bereits zum vierten Mal lässt Anne Stern ihre Leserinnen (beziehungweise in diesem Fall: Hörerinnen) an der Geschichte der Berline Hebamme Hulda Gold im Berlin der 1920-er Jahre teilhaben. War Hulda in den Vorgängerbänden vor allem auch kriminalistisch unterwegs, konzentriert sich "Die Stunde der Frauen" vor allem auf die Lebenswelten von Frauen der damaligen Zeit zwischen Aufbruch und Beschränkungen.
Hulda lernt schon durch ihren Beruf die ganz unterschiedlichen Lebenswelten der Frauen kennen, wenn sie in den Mietskasernen der Arbeiterstadtteile ebenso wie in gutbürgerlichen Vierteln gebärende Frauen betreut. Mittlerweile ist sie aber nicht mehr, wie in den Vorgängerbänden, freiberuflich tätig, sondern als leitende Hebamme in der Frauenklinik Berlin-Mitte tätig. Doch auch hier gilt: Die Ärzte halten sich meist für etwas Besseres, und auch die Art und Weise, wie Wöchnerinnen bevormundet werden und neue Methoden einer sanfteren Geburt verächtlich abgewunken werden, ärgert die resolute Hulda, die sich mit kleinen Schritten hartnäckig für eine Verbesserung einsetzt.
Nicht allen kann Hulda in der Klinik helfen - das gilt ganz besonders für ungewollt schwangere Frauen, die angesichts der strengen gesetzlichen Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch alleingelassen werden und sich wohl oder übel einer "Engelsmacherin" anvertrauen müssen, oft mit Gefahr für das eigene Leben.
Mit mittlerweile 30 Jahren gilt Hulda zu ihrer Zeit als "spätes Mädchen" und sie spürt ihre biologische Uhr ticken. Ein Kinderwunsch ist durchaus da, mit dem jungen Arzt Johann Wenckow gibt es auch einen Mann in ihrem Leben, der sie nur zu gerne heiraten möchte - doch noch zögert Hulda. Zum einen fühlt sie sich von Johanns wohlhabender Familie nicht akzeptiert, zum anderen hängt ihr Herz immer noch an dem Ex-Polizisten Karl, der nun als Privatdetektiv arbeitet.
Und dann ist da noch die Frage ihrer beruflichen Zukunft: Ein Lebens nur als Hausfrau und Mutter kann und will sich Hulda nicht vorstellen. Als verheiratete Frau bräuchte sie die Erlaubnis ihres Ehemanns, einen Beruf ausüben zu dürfen. Doch selbst wenn Johann sich ihren Wünschen nicht entgegenstellt - würde die Klinik sie als verheiratete Frau in ihrer Position belassen?
Auch wenn Hulda auch in diesem Band ein wenig ermittelt, stehen doch ihre privaten Hoffnungen und Nöte, aber auch die Situation und Rollenbilder der Frauen ihrer Zeit im Mittelpunkt. Wer einen historichen Krimi erwartet hat, ist womöglich ein wenig enttäuscht.
Aber wie kann man von einem Hörbuch enttäuscht sein, wenn die großartige Anna Thalbach die Sprecherin ist? Sie zieht wieder einmal alle stimmlichen Register, mal berlinernd, mal hochdeutsch, gibt Aristokraten, Bohemiens und Berliner Gören gleichermaßen ihre Stimme und setzt ähnlich erfolgreich wie in den vorangegangenen Bänden Kopfkino in Gang. Eigentlich sind Frauenschmöker nicht mein Lieblingsgenre, aber die Hulda-Gold-Hörbücher sind für mich schon wegen der wunderbaren Sprecherin ein "Muß".