Cover-Bild Das andere Mädchen
Band 1539 der Reihe "Bibliothek Suhrkamp"
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18,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Suhrkamp
  • Themenbereich: Belletristik - Biografischer Roman
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 74
  • Ersterscheinung: 10.10.2022
  • ISBN: 9783518225394
Annie Ernaux

Das andere Mädchen

Nobelpreis für Literatur 2022 | Der berührende Brief der französischen Bestsellerautorin an ihre tote Schwester
Sonja Finck (Übersetzer)

Nobelpreis für Literatur 2022

Ein Sonntag im August 1950, die kleine Annie spielt draußen im Garten, ihre Mutter steht am Zaun und plaudert mit der Nachbarin. Eine folgenreiche Plauderei, denn so erfährt Annie, dass ihre Eltern vor ihrer Geburt bereits eine Tochter hatten, die sechsjährig an Diphtherie gestorben war. Über diese Schwester wird Annie von ihren Eltern niemals wieder ein Wort hören und sie wird ihrerseits niemals nach der Verstorbenen fragen.
Doch auch dieses dauerhafte Beschweigen formt eine Geschichte und verleiht der toten Schwester – dem anderen Mädchen – eine Gestalt. Und es prägt Annies Persönlichkeit und Charakter, die Identität der Nachgeborenen.
Vier oder fünf Fotografien, das Grabmal, einige wenige Gegenstände, ein paar Murmeln – darüber versucht Annie Ernaux Jahrzehnte später dem Leben ihrer ungekannten Schwester schreibend auf die Spur zu kommen.

Annie Ernaux hat einen Brief an ihre Schwester geschrieben, die sie nicht hat kennenlernen können – einen Brief von überwältigender Klarheit und zarter Traurigkeit, über Trennendes und Gemeinsames, über Kindheit und Geschichte und über Schicksalsschläge, die eine Familie auf immer verändern.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Über einen diffusen Verlust und dessen Auswirkungen

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„Sie erzählt, dass sie und ihr Mann vor mir eine andere Tochter gehabt hätten, die vor dem Krieg in Lillebonne an Diphtherie gestorben sei. […] Am Schluss sagt sie über dich, sie war viel lieber als die ...

„Sie erzählt, dass sie und ihr Mann vor mir eine andere Tochter gehabt hätten, die vor dem Krieg in Lillebonne an Diphtherie gestorben sei. […] Am Schluss sagt sie über dich, sie war viel lieber als die da. Die da, das bin ich.“ S.15

Dieser Schlüsselmoment ereignet sich im Sommer 1950, Annie ist zehn Jahre alt und wird Zeugin eines beiläufigen Gespräches zwischen ihrer Mutter und einer Bekannten, in dem diese Aussage fällt, die alles verändern und doch in die Sprachlosigkeit entgleiten und damit jeden direkten Vergleich, eine Ikonisierung der Verstorbenen verhindern wird. Dieses Geheimnis wird bis zum Tod der Eltern nie offiziell gelüftet, erst danach gibt es vereinzelt Gespräche mit Verwandten, ein paar Fotos; den Ansatz eines verschwommenen Bildes in Annies Kopf. Sie hat ihre Schwester ersetzt und das nicht einmal besonders gut. Ernaux schreibt über die große Schwester, von der sie fast nichts weiß, lange gar nichts wissen wollte, diesen Mythos einer Schwester, den sie bewusst auf Distanz hielt, und schreibt doch nicht über sie. Sie schreibt über sich selbst als Nachrückende, eine unsichtbare Lücke Ausfüllende, das ewig andere Mädchen. Nicht die trauernden Eltern, die diese meistens gut zu verbergen wussten, nicht die verstorbene Schwester, nein, sie selbst, Annie, ist im Fokus, ist die Leidtragende der Geschichte, und dieses Selbstverständnis, möglicherweise gewachsen aus dem ungeheuerlichen Urteil der Mutter, „sie war viel lieber als die da“, mutet bisweilen seltsam verzerrt an, offenbart sich in dieser Folgerung:

„Ich schreibe nicht, weil du gestorben bist. Du bist gestorben, damit ich schreibe, das ist ein großer Unterschied.“ S.33

„Das andere Mädchen“ thematisiert einen diffusen Verlust und dessen Auswirkungen, ist ein offener Brief und innerer Monolog, ein der Dringlichkeit am Erforschen der eigenen Wurzeln und Wunden entsprungener Essay, den ich gerne gelesen habe, wenngleich sich die große Begeisterung, die ich im Frühjahr bei der Lektüre von „Erinnerung eines Mädchens“ verspürt hatte, nicht gänzlich einzustellen vermochte. Aus dem Französischen von Sonja Finck.

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