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Veröffentlicht am 02.07.2024

Ein ehrliches, erfrischendes Porträt einer Freundschaft und der Generation der Millenials im Irland der frühen 2010er

Die Sache mit Rachel
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Heute ist Rachel 31 Jahre alt, hochschwanger, lebt in London als Journalistin und blickt als Erzählstimme zurück auf ihr Erwachsenwerden mit Anfang 20 im irischen Cork, ihr Studium der englischen Literatur, ...

Heute ist Rachel 31 Jahre alt, hochschwanger, lebt in London als Journalistin und blickt als Erzählstimme zurück auf ihr Erwachsenwerden mit Anfang 20 im irischen Cork, ihr Studium der englischen Literatur, der Start ins Berufsleben vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Finanzkrise, prekäre Beschäftigungen, erste Liebe, und vor allem die Freundschaft zu James. Die Unsicherheiten, die jede Identitätsfindung begleiten werden in dieser Generation mit dem Eintritt ins Berufsleben in einem Europa nach der Finanzkrise potenziert, es ist die Zeit in der hochgebildeten Absolvent:innen zu oft nicht mehr als ein Call Center Job und/oder eine Reihe von Praktika bleibt, um zunächst das Überleben zu sichern und die Miete zu zahlen.

Im Rückblick auf diese Zeit arbeitet Rachel mit Anfang 20 neben der Uni in einem Buchladen. Ihr neuer Kollege James weckt sofort Rachels Interesse, es ist Faszination und Freundschaft auf den ersten Blick. Rachel ist sofort von James Ausstrahlung und Witz in den Bann gezogen. James ist fasziniert von Rachels bürgerlicher Herkunft als Zahnarzttochter, deren Eltern es seit der Krise finanziell längst nicht mehr so gut geht wie es auf den ersten Blick scheint. Bereits nach kurzer Zeit ziehen beide zusammen in eine schlecht renovierte Wohnung, werden unzertrennlich und teilen Insiderscherze als wären sie gemeinsam aufgewachsen. Die James und Rachel Show beginnt!

Gemeinsam erleben sie die Zeit des Erwachsenwerdens und der Ausbildung der eigenen Identität. So emanzipiert sich Rachel von den moralischen Vorstellungen ihrer Herkunft, James und sie erleben Geldnot und fühlen sich trotzdem cool dabei in ihrem Erfindungsreichtum, beide daten, entdecken die erste Liebe, ihre sexuelle Orientierung, sexuelle Freiheit und Befriedigung sowie auch erste Enttäuschungen. Rachel versucht in dieser Welt als Collegeabsolventin im Verlagswesen Fuß zu fassen, während James an einem Sitcom-Drehbuch inspiriert von ihrer Freundschaft schreibt. Und da sind auch noch Rachels beliebter Professor und seine sympathische junge Frau aus der Verlagsbranche die eine verhängnisvolle Rolle in Rachels als auch James Leben spielen sollen.

So entsteht ein authentisches Porträt nicht nur einer besonderen Freundschaft sondern auch der Millenial-Generation in Irland in den frühen 2010er Jahren mit all ihren Herausforderungen im Dating, der Jobsuche und der Selbstfindung ebenso wie Queerness, Umgang mit den in Irland verbotenen Abtreibungen und vielem mehr.

Nach dem ersten Hoch der innigen Freundschaft werden nach und nach auch die feinen Unterschiede zwischen Rachel, der Tochter aus dem Bürgertum und James, der keinen Collegeabschluss hat, deutlich und gerade für James spürbar. Daneben thematisiert die Autorin
um die Freundschaft von Rachel und James auch immer wieder irische Eigenheiten und Differenzen zu Briten und fasst so auch auf kultureller Ebene ein besonderes Lebensgefühl.

O'Donoghues Stil ist frech, frisch, direkt und ehrlich und fängt so die Gefühlslage von James und Rachel authentisch ein.

Mit - Die Sache mit Rachel - reiht sich Caroline O'Donoghue in die Riege junger irischer Autorinnen ein, die authentisch und klug ihre Generation porträtieren und steht damit bekannteren Autorinnen wie Sally Rooney in nichts nach.

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Veröffentlicht am 01.07.2024

Ein Roman über internalisierte weibliche Schuld und Scham

Ich stelle mich schlafend
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Yasemin ist Mitte 30 und steht in einer Hochaussiedlung vor der abgebrannten Ruine, die einmal ihr Zuhause war. Was ist passiert? Behutsam und in poetischer Sprache entwirft Deniz Ohde eine Erzählung über ...

Yasemin ist Mitte 30 und steht in einer Hochaussiedlung vor der abgebrannten Ruine, die einmal ihr Zuhause war. Was ist passiert? Behutsam und in poetischer Sprache entwirft Deniz Ohde eine Erzählung über eine Frau, die schon seit ihrer Kindheit ein bestimmtes Frauenbild internalisiert hat. Die Frau als nettes, gefälliges Wesen, das Übergriffe geschehen lässt, auch gegen die eigenen Bedürfnisse, gegen den eigenen Willen. So sieht sie es bei ihrer Mutter, so erlebt sie es bei ihrer Freundin Lydia. Doch wo bleiben in solch einem Entwurf ihre eigenen Wünsche, Träume und Bedürfnisse. Wie ist, ist überhaupt unter diesen Bedingungen eine gesunde Partnerschaft möglich? Diese Frage verhandelt Ohde mit dem Eintritt Vitos in Yasemins Leben.

Körperlichkeit, Verletzlichkeit und auch Übergriffigkeit wie sie Yasemin durch Männer erfährt spiegelt die Autorin auch immer wieder über die Skoliose Yasemins und deren Behandlung wider. Diese Parallelen und Referenzen sind sehr gelungen, wie auch die Beschreibung Yasemins Behandlung.

Phasenweise hat der Roman für mich einen echten Sog entwickelt, was ist passiert? Wie wird sich Yasemin entwickeln? Leider kann er für mich nicht vollständig an Streulicht anschließen. Sprachlich wirkten auf mich einige Bilder, gerade im ersten Drittel zu gewollt. Stark wird der Roman, wenn er innere Beweggründe und Widersprüche aufzeigt. Hier taucht die Autorin tief in die menschliche Psyche und sozialen Beziehungen ein. Doch auch in der Handlung wirkte der Roman auf mich in einigen Abschnitten zu gewollt und konstruiert, sodass sich die absolute Begeisterung leider bei mir nicht einstellen konnte.

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Veröffentlicht am 01.07.2024

Jeder Tag ist gut, um endlich das Patriarchat abzuschaffen

Heute ist ein guter Tag, das Patriarchat abzuschaffen.
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Ist nicht jeder Tag ein guter Tag das Patriarchat abzuschaffen? Und ist nicht jeder Tag, an dem wir nicht daran arbeiten, einer zu viel? Der vorliegend Essayband zeigt in sieben verschiedenen Beiträgen ...

Ist nicht jeder Tag ein guter Tag das Patriarchat abzuschaffen? Und ist nicht jeder Tag, an dem wir nicht daran arbeiten, einer zu viel? Der vorliegend Essayband zeigt in sieben verschiedenen Beiträgen auf, warum die Antwort auf beide Fragen nur Ja lauten kann.

Besonders wertvoll ist die Vielfalt der Perspektiven und Themen in den Beiträgen, von Patriarchat und Kirche aus der Sicht einer evangelischen Pfarrerin über Intersektionalität und muslimischer Feminismus bis hin zu Feminismus und Mutterschaft. Die Beiträge überzeugen durchweg mit einer sehr gelungenen Mischung aus persönlicher Erfahrung und fundierter fachlicher Einbindung.

Für mich waren die letzten drei Essays die Highlights des Bandes. Der Beitrag von Aiki Mira befasst sich mit Queer*Feminismus in einer Annäherung über Science Fiction Literatur und Pseudonyme und eröffnete für mich ein ganz neues Themenfeld mit vielen Denkanstößen. Mareike Fallwickl lenkt den Blick auf die Männer im Patriarchat und argumentiert auch aus der Perspektive und Erfahrung als Mutter eines Sohnes. Barbara Streidl stellt die Frage nach einem Wir im Feminismus und arbeitet pointiert und nuanciert, historische wie inhaltliche, Grenzen und Chancen heraus.

Der Band liefert in jeder Hinsicht und in allen Beiträgen wichtige Denkanstöße und sollte aus meiner Sicht in keinem Bücherregal fehlen - denn nur gemeinsam können wir das Patriarchat mit all seinen strukturellen Benachteiligungen überwinden!

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Veröffentlicht am 25.06.2024

Persönliche Schicksale im 2. WK unter japanischer Besatzung in Fernost

Und Großvater atmete mit den Wellen
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Trude Teige gibt uns in Und Großvater atmete mit den Wellen nicht nur Einblicke in die Vergangenheit von Junis Großvater Konrad, und insbesondere den prägenden Lebensabschnitt, als er lernte mit den Wellen ...

Trude Teige gibt uns in Und Großvater atmete mit den Wellen nicht nur Einblicke in die Vergangenheit von Junis Großvater Konrad, und insbesondere den prägenden Lebensabschnitt, als er lernte mit den Wellen zu atmen. Sie beschreibt vielmehr auch im Detail, welche Auswirkungen der 2. Weltkrieg in Fernost hatte, hier insbesondere die japanische Besatzungsherrschaft.

Es ist das Jahr 1943 und das Handelsschiff auf dem die Brüder Konrad und Svere in Dienst sind, wird von einem japanischen U-Boot angegriffen. Svere gerät in Gefangenschaft, Konrad kann aufs offene Meer fliehen und landet mehr tot als lebendig auf Java in Indonesien. Im Krankenhaus wird er von der ebenfalls aus Norwegen stammenden Krankenschwester Sigrid gepflegt. Sigrid lebt schon lange mit ihren Eltern und der jüngeren Schwester Ingrid auf Java und wurde ebenso von der japanischen Besatzung überrascht. So schnell wie sich zarte Bande zwischen Konrad und Sigrid bilden, so schnell werden sie getrennt, als alle Ausländer in Lager, getrennt nach Frauen und Männern interniert werden. Abwechselnd wird das Schicksal von Svere, Konrad und Sigrid und ihrer Familie beschrieben. Werden sie wieder zueinander finden? Und werden sie zurück in ihre Heimat Norwegen gelangen?

Berührend ist dabei nicht nur die Liebesgeschichte zwischen Sigrid und Konrad beschrieben, sondern auch das Schicksal und die Beziehung der Brüder Konrad und Svere, die früh ihre Eltern verloren haben und nicht weniger als Alles füreinander sind.

Die Schrecken von Krieg und Besatzungsherrschaft: Misshandlungen, Willkür, Vergewaltigungen, Gewalt aller Art und der Lageralltag der Internierten werden im Rahmen der persönlichen Geschichten und Schicksale ausgeführt und sind nicht immer leicht zu lesen. Doch auch neue Freundschaften und Solidarität unter den Internierten beschreibt die Autorin. Daneben ist der Roman auch eine Geschichte starker, emanzipierter Frauen oft Krankenschwestern, die den Schrecken der Besatzung und dem Leid im Lager resilient trotzen und nie den Mut verlieren.

Für mich ist es das erste Buch von Trude Teige, und ich konnte der Handlung gut ohne Kenntnisse von Großmutter tanzte im Regen folgen. Nach dieser tollen Lektüre, werde ich jedoch auch den ersten Roman zeitnah lesen. Und Großvater atmete mit den Wellen berührt und gibt zugleich historische Einblicke, die mir bisher kaum bekannt waren und ist damit für mich eine absolute Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 22.06.2024

Botanisch angehauchter Cosy-Roman an der englischen Küste

Forgotten Garden
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Luisa ist Mitte 30 und doch fühlt sich ihr Leben an, als wäre es schon einmal gelebt. Ihr Mann Reuben ist nur wenige Jahre nach der Hochzeit verstorben, und mit ihm hat sie nicht nur ihre große Liebe sondern ...

Luisa ist Mitte 30 und doch fühlt sich ihr Leben an, als wäre es schon einmal gelebt. Ihr Mann Reuben ist nur wenige Jahre nach der Hochzeit verstorben, und mit ihm hat sie nicht nur ihre große Liebe sondern auch ihre Passion für Gärten und Gartenarchitektur verloren. Denn dies war es, was beide verbunden und im gemeinsamen Studium ursprünglich zusammengeführt hat. Ein gemeinnütziger Gemeinschaftsgarten war immer ihrer beider Vision, scheiterte jedoch an fehlenden Investoren. Viele Jahre nach Reubens Tod arbeitet Luisa nun als Sekretärin für eine menschlich scheußliche Chefin einer Gartenfirma, verschwendet ihr Talent und überlebt mehr als dass sie wahrhaftig lebt. Bis ein Anruf von Reubens Patenonkel diese selbst verordnete Lethargie ins Wanken bringt. Er möchte Luisa ein Grundstück überschreiben, um den Traum zu verwirklichen, den sie und Reuben immer hatten. Luisa ist hin und her gerissen, bedeutet doch der Garten sich nicht nur ihren eigenen Träumen sondern auch ihrer Trauer um Reuben auf andere Art zu stellen, als sie es in den vergangenen Jahren getan hat.

Ihre Schwester ist sofort begeistert von der Idee und drängt Luisa es zu versuchen, und obwohl, oder vielleicht gerade weil, das Grundstück ein verlassenes Industriegelände in einer deindustrialisierten Küstenstadt mit vielen sozialen Problemen ist, lässt sich Luisa schließlich darauf ein. Der Garten, wird schnell klar, ist mehr als ein Projekt, er ist Luisas Weg zurück zu sich selbst. Und da ist vor Ort auch noch der sozial engagierte Lehrer Cas, mit dem Luisa nicht nur das soziale Engagement zu verbinden scheint…

Besonders gut hat mir gefallen, dass die Autorin für den Ort des Gartens eine deindustrialisierte Region Großbritanniens wählt, und so auch sozial-politisch relevante Probleme, allen voran Armut und Hoffnungslosigkeit in diesen Regionen, mit all ihren Folgen thematisierst.

Sowohl Luisa, als auch die Nebenfiguren, allen voran Cas und die toughe junge Harper aus seinem Jugendprojekt sind authentisch gezeichnet und versetzen beim Lesen direkt in die Handlung. Sprachlich ist dieser Cosy-Roman, der durchaus auch ernste Themen, wie Verlust, Trauer, Armut, Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen anspricht, sehr flüssig geschrieben, und die perfekte Lektüre für ein paar Stunden ganz eigenen Leseurlaub.

Mit Forgotten Garden zeigt Sharon Gosling wie echte Gemeinschaft, aber auch nur echtes Interesse und Zuwendung, Menschen wie Orte zum Blühen bringen können und wie man so zusammen etwas schaffen kann, das größer ist, als die Summe seiner Teile.

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