Ruhiges, gutes Buch zum Nachdenken
Wie viel weiß man eigentlich wirklich über seine eigenen Eltern? In welchen Verhältnissen sie aufgewachsen sind, wie sich die auf sie ausgewirkt haben. Oder wie sie als Kinder und Jugendliche so drauf ...
Wie viel weiß man eigentlich wirklich über seine eigenen Eltern? In welchen Verhältnissen sie aufgewachsen sind, wie sich die auf sie ausgewirkt haben. Oder wie sie als Kinder und Jugendliche so drauf waren. Was war typisch für sie und wovon haben sie geträumt?
In „Eine Frau“ versucht Annie Ernaux dem Leben ihrer Mutter auf die Spur zu kommen. Dabei blickt sie nicht nur auf die Mutter selbst, als Person, sondern auch auf die Umstände, unter denen sie gelebt hat. Ausgangspunkt ist der Tod von Ernauxs Mutter.
Ein gelungenes Portrait einer Frau, bzw. einer Familie, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Position. Es ist ein spannender Versuch, die eigene Mutter komplett zu reflektieren. Und meiner Meinung nach schafft die Autorin es, ein stimmiges und nachvollziehbares Bild ihrer Mutter darzustellen. Wir lernen sie nicht nur als Mutter kennen, sondern als ganze Person.
Die Autorin bringt zum einen gut die ambivalenten Gefühle rüber, die man seiner Mutter gegenüber haben kann. Zum anderen erfährt man in dem Buch nicht nur was über die Mutter der Autorin, sondern auch über das große Ganze, über die Art und Weise wie Menschen ihrer sozialen Position entsprechend handeln und denken.
Ernaux wird dabei nie überschwänglich emotional und hält sich oft an Fakten und eine eher objektive Reflexion. Aber gerade die häufig auftauchenden Momentaufnahmen berühren einen doch sehr beim Lesen. Diese Momentaufnahmen spiegeln sich auch im Sprachstil wieder, weil die Autorin oft nicht in ganzen Sätzen, sondern in Eindrücken erzählt.
Und immer wieder klingt durch, wie sehr sie ihre Mutter geliebt hat, auch wenn sie sich zeitweise entfremdet haben. Besonders da hat mich das Buch angesprochen, weil ich unweigerlich an meine Beziehung zu meiner Mutter denken musste. Durch diese Parallele konnte ich gut mit der Autorin und ihrem Schmerz über den Verlust mitfühlen. Und ich kann ungefähr nachvollziehen, wieso es ihr so wichtig ist, ihrer Mutter im Schreiben noch nahe zu bleiben.