Unerwartet anders
„Es war der Abend vor meinem dreißigsten Geburtstag, und wenn die folgenden dreißig Jahre so werden würden wie die bisherigen, wäre weiterleben schon arg lästig. Lästig ist aber auch, dass man sich erst ...
„Es war der Abend vor meinem dreißigsten Geburtstag, und wenn die folgenden dreißig Jahre so werden würden wie die bisherigen, wäre weiterleben schon arg lästig. Lästig ist aber auch, dass man sich erst umbringen muss, wenn man nicht mehr leben will. In Filmen ist das immer ein dramatischer Moment, untermalt mit elegischer Orchestermusik. Aber in Wahrheit ist es still.“ (Seite 5)
Anna Thurow beschließt an dem Abend vor ihrem dreißigsten Geburtstag, zu sterben und wägt verschiedene Selbstmordarten gegeneinander ab. Sinnlos erscheint ihr das Leben, auch wenn sie nicht unglücklich ist, denn glücklich ist sie jedenfalls nicht. Durch Zufall landet sie bei einer Hypnotiseurin, die ihr attestiert, in ihr sei der Geist eines kroatischen Juden namens Andri, der in Dubrovnik gelebt hat. Ihre Neugier siegt und so macht sich Anna auf den Weg nach Kroatien, wo sie auf Anka trifft, die Andri gekannt hat. Dabei lernt sie vieles über die Kriegsvergangenheit des ehemaligen Jugoslawiens sowie auch die Naziverbrechen, aber sie erfährt dazu einiges über sich selbst.
„Ich konnte mich nicht sattsehen an ihren Silhouetten, sie waren alle so schön, wie Samt und Seide, ich sah mich vor ihnen wie vor einem Geheimnis, und ich wollte in sie eindringen, aber ich wusste nicht, womit. Meinen Körper betrachtete ich, wie ich den Körper einer anderen Frau betrachtete: wie ein Wunder, aber auch wie ein Rätsel.“ (Seite 81)
Zu Beginn fand ich Anna faszinierend, trotz ihrer düsteren Gedanken, ihrer Sprunghaftigkeit und ihrer Verwirrung hinsichtlich ihrem Geschlecht. Das Spiel mit den Worten beherrscht die Autorin, daran gibt es nichts auszusetzen, aber ein wenig ermüdete mich der Charakter von Anna irgendwann, sodass ich froh war über einen Ortswechsel, der uns in das Ex-Jugoslawien führte, wo es dann doch noch emotional und ernst wurde. Es ist kein Buch für zwischendurch, es hat mich gefordert, aber auch amüsiert. Die Reise hat mich gut unterhalten, versöhnte mich mit Anna und so gingen wir auseinander, ohne einander böse zu sein. Anders und lesenswert.