Astrid Seeberger ist eine begnadete Erzählerin
Schöne Bearbeitung eines ewig gleichen Themas: Mutter-Tochter Beziehung. Gar nicht so einfach, wenn man zu Lebzeiten es nicht geschafft hat, nun, nach dem Tod der Mutter den Zugang zu ihr zu finden. Und ...
Schöne Bearbeitung eines ewig gleichen Themas: Mutter-Tochter Beziehung. Gar nicht so einfach, wenn man zu Lebzeiten es nicht geschafft hat, nun, nach dem Tod der Mutter den Zugang zu ihr zu finden. Und doch muss die Ich-Erzählerin im Buch genau das tun. Nach einer glücklichen Kindheit ohne finanzielle Sorgen, bricht der zweite Weltkrieg aus, die Kindheit ist schlagartig vorbei. Kriegs- und Nachkriegsjahre der Mutter werden in Fragmenten wiedergegeben, in loser Chronologie, manchmal wird vorgegriffen, andere Male werden ausgelassene Schlüsselmomente im Leben der Mutter nachgereicht. Das macht das Lesen nicht ganz einfach, aber spannend. Letztendlich erhalten wir ein Bild der Mutter, Puzzlestück für Puzzlestück fügt sich zusammen, wir und mit uns auch die Tochter beginnen die Mutter zu verstehen und auch zu schätzen. Die Mutter weiß was ihr Vater, ein charismatischer Mann seinem ältesten Sohn Bruno angetan hat, trotzdem lässt die Mutter die tiefe und innige Freundschaft und Liebe zwischen ihrer Tochter und ihrem Vater – Großvater zu. Ihre Tochter liebt ihren Großvater, führt mit ihm eine rege Korrespondenz, in den Ferien folgt sie ihm auf Schritt und Tritt, erlebt wunderschöne Momente.
Nun ist die Mutter gestorben, es kam nie zu einer Aussprache zwischen Mutter und Tochter, warum die Mutter nie richtige Nähe zur Tochter zugelassen hat, wie viele Familiengeheimnisse in Mehlsack in Ostpreußen und Augustenruh in Mecklenburg-Vorpommern. In mühsamer Kleinarbeit und in Gesprächen mit Personen, die die Mutter kannten, aber auch aus Erzählungen der Mutter erfährt die Tochter nach und nach all die schönen, aber auch schmerzhaften und schrecklichen Ereignisse aus dem Leben der Mutter. Die Tochter entschließt sich die Geschichte der Mutter aufzuschreiben, vielleicht als Zeichen der posthumen Versöhnung mit der Mutter, aber auch damit ihre Mutter „Spuren hinterlassen“ kann und „um die Dinge in Einklang zu bringen“. (S. 70)
Die Sprache ist bildgewaltig, dicht, poetisch. Allein schon das Bild der Familie, die an Sommerabenden auf der Terrasse zuhört, wie der Großvater aus Dr. Faustus von Thomas Mann vorliest, weckt in uns die Sehnsucht, auch solch unbeschwerte Sommerabende auf einem alten Gutshof zu verbringen. Oder in einem großen weißen alten Haus wohnen, wo man „in einem Lichtstreifen von Zimmer zu Zimmer gehen“.
Astrid Seeberger ist eine begnadete Erzählerin. Langsam, sacht nimmt sie uns gefangen, verzaubert uns mit ihrer Prosa, lässt uns nicht mehr los.