Catherine Morland ist der Charakter von Jane Austen, mit dem ich mich am meisten identifizieren kann. Durch ihre Freundin Isabella wächst ihre Liebe zur Literatur und täglich begibt sie sich auf fantasievolle Abenteuerreisen. Vor allem die Schauerromane von Anne Radcliffe liest sie besonders gern.
Als sie auf einem Ball Henry Tilney kennenlernt, ist Catherine sofort von ihm begeistert. Er ist gutaussehend, höflich und stammt aus einer wohlhabenden Familie. Auch seine Schwester Eleanor, die Catherine bald darauf trifft, macht einen freundlichen Eindruck. Durch ihre Liebe zu Büchern scheint die Protagonistin allerdings sehr realitätsfern und naiv zu sein, denn die Abenteuer, die die Helden in ihren Romanen erfahren, ziehen Catherine in ihren Bann. Im Verlaufe des Buches fällt es ihr immer schwerer die wirkliche Welt von der Fantasie zu unterscheiden.
Iabella verliebt sich zu Beginn des Romans in Catherines Bruder James und die beiden verloben sich. Wie ich es in einer anderen Rezension schon einmal angesprochen hatte, brauchen die wahren Liebesgeschichten in Jane Austens Büchern Zeit. Wenn ein Pärchen schon auf den ersten Seiten zusammenkommt, ist es entweder eine Zwangsehe oder die ‚Liebe‘ steht unter einem schlechten Stern. So ist es leider auch bei Isabella und James, denn als sie auf einem Ball den älteren Bruder von Henry, Frederick, sieht, ist sie ganz angetan von dem Mann in Militärsuniform. Kurz darauf lässt Isabella James mit einem gebrochenen Herzen sitzen und verlobt sich mit dem älteren Tilney.
Catherine wird unterdessen von Henrys Vater, General Tilney, auf deren Anwesen in Northanger eingeladen. Sie und Henry haben hier vor allem viel Zeit, sich besser kennenzulernen und die Liebe zwischen den beiden scheint zu wachsen. Als Catherine allerdings vom Tod Mrs Tilneys erfährt, sieht sie sich wieder in der Hauptrolle eines ihrer Schauerromane. Sie ist fest davon überzeugt, der General hätte seine eigene Frau umgebracht und sie versucht, dies zu beweisen. Henry ist natürlich bestürzt, als er erfährt, wie Catherine über seinen Vater denkt und nur wenige Momente später wirft sie der alte Mr Tilney vor die Tür.
Die Abtei von Northanger wird auch als Entwicklungsroman bezeichnet, da es die geistige Entwicklung Catherines zeigt. Als naives Mädchen glaubt sie zu Beginn des Romans alles, was in ihren Büchern steht und es fällt ihr schwer, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Nach einem Gespräch mit Henry über Literatur und ihre spätere Erkenntnis, dass ihr Verdacht gegenüber dem General falsch war, vollzieht sich in Catherine eine Wandlung. Sie ist reflektierender, gibt sich nicht so schnell den Vorurteilen hin und liest Bücher nur noch zum Vergnügen.
Jane Austen hat viel Humor in dieses Buch hineingesteckt. Mit einer Protagonistin, die sich viel zu oft in ihrer eigenen Welt verliert, hat die Autorin schon im 19. Jahrhundert einen Charakter geschaffen, in den ich mich noch heute sehr gut hineinversetzen kann. Die Geschichte ist lebendig, spannend und doch auch voller Gefühl. Das Happy End zum Schluss erschien erst unerwartet, doch es wäre kein Jane Austen Roman, wenn es das nicht gegeben hätte.
Ein Buch für alle, die manchmal ein bisschen realitätsfern sind.