Zeugnisse des Grauens
Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee das deutsche Vernichtungslager Auschwitz. Die Krematorien waren zu diesem Zeitpunkt bereits gesprengt, die Mehrheit der Häftlinge auf den berüchtigten ...
Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee das deutsche Vernichtungslager Auschwitz. Die Krematorien waren zu diesem Zeitpunkt bereits gesprengt, die Mehrheit der Häftlinge auf den berüchtigten Todesmärschen weiter westlich getrieben worden und diejenigen, die als krank und schwach zurückgelassen worden waren, verdankten ihr Überleben dem schnellen Vormarsch der sowjetischen Truppen. Denn eigentlich sollten keine Zeugnisse der deutschen Verbrechen übrigbleiben.
Ein ganz besonderes Zeugnis, gewissermaßen der letzte Blick auf die Opfer, sind die Briefe des sogenannten Sonderkommandos. Ihm gehörten Häftlinge an, die an den Gaskammern, in den Krematorien von Auschwitz arbeiten mussten, die sahen, was andere Insassen zwar wussten, was sie aber erst dann sahen, wenn sie selbst zu den "Duschen" befohlen wurden.
Als Mitwisser und Augenzeugen waren auch die Mitglieder des Sonderkommandos Todeskandidaten, wie ihnen selbst nur zu klar war. Einige versuchten, Zeuge zu sein für eine Nachwelt, zu der sie nicht gehören würden. Sie hofften, dass die Täter eines Tages zur Rechenschaft gezogen würden, dass Juristen und Historiker auf Spurensuche gehen würden. Ihre Aufzeichnungen, verschlüsselt, versteckt, vergraben auf dem Lagergelände, überdauerten. Einige dieser Briefe von Angehörigen des Sonderkommandos sowie von Lagerhäftlingen bilden die Grundlage des Hörspiels "Briefe aus der Hölle".
Es ist harte Kost. Denn egal, wie bekannt die Zahlen und Fakten über die Schoah sein mögen, das Geschichtsbuchwissen über Auschwitz-Birkenau - in den Aufzeichnungen bekommt das Grauen ein Gesicht. Gerade weil die Autoren völlig illusionslos über ihr eigenes Schicksal schreiben, über die qüälende "Arbeit", die Zustände im Lager in wenigen Worten umreißen, Begegnungen schildern, den Umgang mit den Leichen und die apokalyptischen Szenen des Krematoriums, sind diese Texte so eindringlich. Es ist wohl unvorstellbar, was der Einsatz mit den Menschen des Sonderkommandos gemacht hat. Oder wieviel Mut es gekostet haben mag, Zeugnis für die Welt abzulegen, die Auschwitz nie so erfahren würde wie sie, die womöglich behaupten würde, so etwas sei doch gar nicht möglich, weil ein solches Ausmaß der Unmenschlichkeit die Vorstellungskraft sprengt.
Die "Briefe aus der Hölle" werden vom Verlag als Hörspiel bezeichnet, doch alles Theatralische liegt ihnen fern. Die Sprecher - etwa Wolfram Koch, Robert Gallinowski und Martin Engler sprechen betont sachlich, lassen die Worte selbst wirken, Die Klang- und Musikuntermalung ist zurückgenommen. Wenn dann allerdings ein metallisch-krachendes Geräusch ertönt, so als werde eine Tür zugeschlagen, hat das etwas Beklemmendes,, visualisiert das Gehörte in der eigenen Vorstellungskraft.
Es mag sich unerträglich anfühlem, den Briefen zuzuhören. Aber gerade deshalb muss es sein. Nicht nur am Tag der Befreiung von Auschwitz, der auch der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ist.