Die österreichische Autorin Beatrix Kramlovsky erzählt in ihrem Roman "Die Lichtsammlerin" von drei Frauengenerationen innerhalb einer Familie. Die Besonderheit an der Geschichte, bei der sich manche Leser in der Leserunde etwas schwer taten ist, dass die Autorin nicht chronologisch erzählt, sondern in der Zeit springt. Das erfordert ein genaues Lesen und Konzentration. Ich kam allerdings sehr schnell und ohne große Probleme in die Geschichte, die großteils in Österreich, aber auch in Australien, spielt.
Wir begleiten Rosa, ihre Tochter Erika und Enkelin Mary über zwei Jahrhunderte und zwei Kontinente.
Mary, die nie wirklich eine gute Beziehung zu ihrer Mutter hatte, erhält die Nachricht, dass diese an Alzheimer erkrankt ist und Hilfe benötigt. Doch Mary lebt in Australien, wo sie geboren wurde. Österreich ist ihr fremd. Ihre Mutter Erika hat sich in Australien nie wohl gefühlt und litt an Heimweh. Sie ist nach dem Tod ihres Mannes Albert in die alte Heimat nach Österreich zurückgekehrt. Widerwillig reist Mary zu ihr nach Linz. Obwohl die Alzheimerkrankheit fortschreitet, erfährt Mary doch so einiges aus der Vergangenheit ihrer Mutter und Großmutter und kommt endlich Erika etwas näher.
Rosa, die eigentlich Herma hieß, ist die titelgebende "Lichtsammlerin". Ihre Mutter Juliane war bereits zur Jahrhundertwende weitblickend und hat ihren Töchtern eine fundierte Ausbildung ermöglicht, um im späteren Leben auf eigenen Füßen stehen zu können. Eine Ansicht, die nur sehr wenige Eltern zu dieser Zeit hatten. So wird aus Rosa eine Frau, die ihren eigenen Weg geht und sich trotz des Krieges ihre Menschlichkeit bewahrt und Menschen in Not hilft. Obwohl sie selbst nach ihrer Heirat im Dorf ihres Mannes als Außenseiterin galt, wird sie doch heimlich bewundert. Die Ausgrenzung spürt auch Erika, die im kleinen Dorf bei Linz weder Tochter eines Bauern, noch eines Arbeiters ist, die die Mehrheit der Dorfbewohner ausmacht. Sie wird verspottet (heute würde man von Mobbing sprechen), findet keine Freunde und ist meist nur von Erwachsenen (später auch Zwangsarbeiter aus Ungarn) umgeben. Erst durch Hanni, die sie im Lyceum kennenlernt, findet sie eine Freundin. Es entsteht eine wunderbare lebenslange Freundschaft. Ihren Mann zuliebe verlässt sie nach dem krieg österreich und wandert mit ihm nach Australien aus. Doch fernab der alten Heimat wird sie nie glücklich. Dies erkennt auch ihr Mann Albert.....
"Es sind nicht ihre schwachen Augen. Sie sieht das Schöne hier nicht, weil die Erinnerung an das Verlorene alles verdeckt."
Ihre Tochter Mary ist hingegen eine richtige Australierin und kann sich kein anderes Heimatland vorstellen. Nach der Trennung von ihrem griechischstämmigen Mann widmet sie sich liebevoll ihren beiden Söhnen. Als berufstätige Alleinerzieherin hat sie es nicht einfach. Sie gehört jedoch bereits einer anderen Generation Frauen an, denn Mary stellt ihre Selbstständigkeit und das Wohl ihrer Söhne über die Pläne ihres neuen Lebensgefährten Jerry.
Ab den zweiten Abschnitt ist man in der Geschichte gefangen. Versucht man zu Beginn noch alle Informationen den jeweilligen Frauen zuzuordnen, hat man ab diesem Zeitpunkt das Gefühl diese wenigstens teilweise zu kennen, denn Beatrix Kramlovsky deckt immer nur Bruchstücke aus der Vergangenheit der Protagonisten auf. Die Aufarbeitung der Familiengeschichte und die Auswirkungen auf die nachfolgende Generation ist der rote Faden durch diesen Mehrgenerationenroman. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ein etwas pessimistischer Grundton über der Geschichte liegt.
Rosa und ihre Familie fand ich sympathisch und bereits sehr aufgeklärt. Erika wirkt als Erwachsene für mich eher kalt und voreingenommen. Für sie ist ihre Mutter keine "Lichtgestalt", sondern sie fühlte sich von ihr verlassen, während fremde Menschen ihre Unterstützung erhielten. In ihrer Tochter Mary erkennt Erika einen Wesenszug ihrer Mutter wieder und baut im Hinterkopf eine emotionale Sperre zu ihr auf. Erst durch die Reise nach Österreich erhält Mary einige Antworten auf ihre Fragen. Dadurch versucht die Emotionslosigkeit ihrer Mutter besser zu verstehen. Mary ist eine Frau der Gegenwart, die für mich in der Geschichte allerdings am blassesten blieb. Zu ihr und zur erwachsenen Erika konnte ich leider keine richtige Beziehung aufbauen.
Der Inhalt und die Gedanken rund um diesen Mehrgenerationenroman regt zum Nachdenken an. Was ist für uns Heimat? Wie viel bedeutet unsere Herkunft? Auch die Themen Familie und das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter sind konstant vorhanden.
Schreibstil:
Der Schreibstil ist anspruchsvoll, oftmals poetisch und der Plot dicht. Man sollte diesen Roman nicht parallel mit einem anderen Buch und eher zügig lesen, dann ist man völlig in der Geschichte drinnen. Zeitsprünge und einige Figuren erfordern anfangs die ganze Konzentration. Trotzdem fand ich die Erzählung sehr intensiv.
Fazit:
Kein einfacher Roman, aber eine bewegende Geschichte über die oftmalige Sprachlosigkeit der im Krieg geborenen Frauen und Männer ihren Kindern gegenüber. Ein intensives Leseerlebnis, das man am Besten in einem Zug durchliest und dabei kein anderes Buch parallel liest. Für mich eine neuentdeckte österreichische Autorin, von der ich noch mehr lesen möchte.