Gefährliche Obsession
Skandinavien-Thrillern haftet oft etwas Dunkles und Düsteres an, man spürt von Anfang an eine unbestimmbare, doch beharrliche, lauernde Gefahr, die sich dann, je weiter die Handlung voranschreitet, irgendwann ...
Skandinavien-Thrillern haftet oft etwas Dunkles und Düsteres an, man spürt von Anfang an eine unbestimmbare, doch beharrliche, lauernde Gefahr, die sich dann, je weiter die Handlung voranschreitet, irgendwann heftig Bahn bricht. Obwohl man genau dies erwartet, kann man sich des Schreckens, der einen dabei stets überkommt, kaum erwehren, ist wie gebannt, wider Willen fasziniert und spätestens dann nicht mehr in der Lage, das Buch zur Seite zu legen. 'Dunkles Abbild' macht da keine Ausnahme, obwohl der Autor Bernhard Stäber gebürtiger Deutscher ist, nun freilich Wahl-Norweger. Die düster-unheimliche Tradition seiner skandinavischen Krimikollegen jedoch führt er fort – und nebenbei gesagt nicht nur dieser, denn ich empfinde den Großteil der norwegischen Literatur als hart und freudlos, als schwermütig, um ein etwas positiveres Adjektiv zu finden. Vielleicht kommt das zwangsläufig, wenn man hoch oben im Norden, wo die Winter endlos lang und dunkel sind, seine Heimstatt hat, vielleicht färbt so etwas ab auf die Menschen, wird von ihnen absorbiert und Teil ihres Charakters? Wer kann das schon mit Bestimmtheit sagen?
Wie dem auch immer sei, für seinen neuen Norwegen-Krimi, genauer gesagt Psychothriller, hat sich der Autor ein Thema ausgesucht, das schon Befürchtungen in mir als Leser weckt, noch bevor sich das ereignet, was schließlich eine unaufhaltsame Lawine in Gang setzen wird mit sehr ungewissem Ausgang. Harmlos genug beginnt die Geschichte, die durchgängig von den beiden Protagonistinnen Silje Iversen und Katrine Haugland erzählt wird, und von daher, mangels eines auktorialen Erzählers, niemals objektiv sein kann. Positiv an dieser Erzählweise ist der Interpretationsspielraum, den sie dem Leser ermöglicht – hier im Roman unbedingt zu begrüßen!
Nun also: Katrine erkennt auf einer Zugreise die Photographin Silje, an die sie sich aus einem Jugendclub von früher erinnert, wie man bereits im Klappentext aufgeklärt wird, und die sie schon damals bewunderte. Silje hatte ihrer Meinung alles, was ihr selbst fehlte, eine unabhängige Persönlichkeit, die für sich alleine stehen konnte und keiner Bestätigung von anderen Menschen bedurfte. Silje freilich hat an Katrine keinerlei Erinnerungen und ist überhaupt, wie im Laufe der Handlung auffallen wird, vor allem mit sich selbst beschäftigt. Sie trauert dem nach, was der Beginn einer Karriere als Photographin hätte sein können und auch sollen, es aber nie geworden ist, denn ihr Sohn Simon wurde geboren, für den sie ganz alleine verantwortlich ist, und mit seinem Eintritt in ihr Leben schien sich ihre Kreativität verabschiedet zu haben. Obwohl sie bemüht ist, sich und den Jungen mit Kellnern und gelegentlicher Porträtphotographie über Wasser zu halten und sich immer wieder sagt, dass der Sohn das Wichtigste in ihrem Leben sei, kreisen ihre Gedanken immer und immer wieder um sich selbst und die verpasste Karriere – ein Verhalten, das der bereits erwähnten späteren Lawine gar einen kleinen Schubs verpassen wird.
Katrine auf der anderen Seite, die sich der verehrten Silje nun an die Fersen heftet und sie nicht mehr aus den Augen lässt, erscheint dem Leser bald nicht mehr nur merkwürdig und befremdlich, sondern es wird ihm rasch klar, dass es sich bei ihr um eine stark gestörte Person handelt, die überraschend schnell die Kontrolle über sich verliert, in dem Maße, wie sie ihren Entschluss, ihrem Idol äußerlich und innerlich so ähnlich wie möglich zu werden, in die Tat umsetzt. Und wirklich ändert sich ihr geducktes, unsicheres Verhalten mit jedem Schritt auf dem Weg ihrer Verwandlung in Silje, die von all dem nicht die geringste Ahnung hat, aber hätte haben können, würde sie nicht mit Scheuklappen durch die Gegend laufen und stattdessen dem, was um sie herum geschieht, ein wenig mehr Beachtung schenken würde. Unverständlich ist etwa, wie sie, die sie ständig in Angst vor dem Jugendamt lebt (die skandinavischen Behörden scheinen alleinerziehenden Müttern nicht über den Weg zu trauen in Punkto Erziehung), ihren Sohn dennoch immer wieder bei allen möglichen Betreuern ablädt, dabei die Alarmsignale, die das Kind aussendet ignoriert oder einfach beiseite wischt, den Jungen und seine – wichtigen, wichtigen! - Wahrnehmungen nicht ernst nimmt.
Ganz absorbiert in ein wertvolles Buch mit Zeichnungen des Crawley-Tarots, das sie in einem Antiquariat entdeckt hat und dem eine entscheidende Rolle in der Geschichte zukommt, wiewohl es an dieser Stelle etwas verwirrend wird und wenigstens von mir nicht mehr recht nachzuvollziehen, entgeht es Silje, dass sie längst von der kranken Katrine gestalkt wird, der tickenden Zeitbombe, die sich sogar Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft und immer mehr zu dem titelgebenden 'dunklen Abbild' ihrer selbst wird. Aber damit nicht genug, denn Katrine hat einen teuflischen Plan, um die vollständige Verwandlung in ihr Idol zu vollziehen. Dass sie dabei über Leichen gehen und vor nichts haltmachen wird, soll Silje sehr bald in einem wirklich umwerfend spannenden Finale am eigenen Leibe erfahren....
'Slow-Burner' nennt der Autor seinen Thriller – was oberflächlich betrachtet zutreffen mag. Doch ist der vermeintlich harmlose Beginn, dazu noch bei ungewöhnlich heißem Hochsommerwetter, trügerisch! Man muss sich nur hineindenken, hineinfühlen, horchen auf die Zwischentöne, um trotz der Hitze ein leichtes Frösteln zu verspüren, das sich bald zu einer ausgewachsenen Gänsehaut entwickeln wird, auf der sich schließlich sämtliche Härchen aufstellen werden. Ein Psychothriller par excellence, der sich einiger Kniffe und Tricks bedient, die den Leser zwar nicht in die Irre führen, seine Aufmerksamkeit jedoch ablenken, so dass der Showdown, der kommen musste, wie er in jedem (PsychThriller kommt, den Leser geradezu überfällt, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Nun, der Autor versteht ohne Zweifel sein Handwerk! Und er lässt auch keine losen Fäden hängen, die der Leser am Ende nach eigenem Gutdünken miteinander verknüpfen soll. All die Fragen, die ich mir während der Lektüre gestellt habe, waren am Schluss auf wundersame Weise beantwortet, es wurde tief genug in der kranken Psyche der verblendeten Katrine gegraben, um sich ein plausibles Bild von ihr und dem, was sie antreibt, machen zu können. Ein Bild, das es im Übrigen ermöglicht, gar ein wenig Mitgefühl zu spüren, wie es jeder verirrten, verwirrten, verwundeten Person zusteht, das aber ihre Untaten nicht in den Hintergrund treten lässt. Wird ein Opfer zum Täter, macht es sich schuldig, ohne Wenn und Aber. Und muss dafür die Konsequenzen tragen. Wie die in Katrines Fall aussehen mögen, bleibt offen....