Wie sähe Deutschland aus, hätte Hitler den Krieg gewonnen? Der Autor Christian Kurz hat darauf eine Antwort und diese in einen bedrückenden Roman gepackt.
Im Großdeutschen Reich gibt es zwar keinen Hitler mehr, aber seine Ideologien leben weiter. Die Partei vertritt die einzig gültige Wahrheit und sie steckt ganz enge Grenzen für sämtliche Mitbürger. Die Menschen haben zu funktionieren und nichts zu hinterfragen, das Gedankengut der Partei sieht keine Schwulen vor bzw. hat diese angeblich gänzlich ausgerottet. Doch im Geheimen gibt es diese Männer sehr wohl, auch wenn sie damit täglich ihr Leben riskieren. Sei es der kleine Autor Karl, der heimlich Geschichten für und über Männerliebe schreibt oder der Drucker, der sie als so genannte Winkel-Literatur herausgibt. Der junge Wolfgang lebt in diesem streng reglementierten Reich und wundert sich, dass er sich zu seinem Mitschüler und Kumpel Nils hingezogen fühlt. Doch er kann mit niemanden darüber reden und wird sich erst über seine „Neigung“ bewusst, als er bei seinem Lehrherrn, einem Buchhändler, auf Schwulenmagazine aufmerksam wird. Auch wenn er nun weiß, dass es noch mehr Männer gibt, die sich zueinander hingezogen fühlen, so packt ihn die Angst, denn sein Leben steht auf dem Spiel. Die Staatspolizei verbreitet Angst und Schrecken und ein selbstbestimmtes Leben ist für niemanden unter diesem System möglich.
Was wäre, wenn …? Dieser zentralen Frage geht Christian Kurz mit einer sehr derben, obszönen Sprache und ohne große Gefühle nach. Das war zunächst ganz ungewohnt für mich und ließ mich zweifeln, ob ich auf Dauer damit klar kommen würde. In einem System, das die Menschen im Allgemeinen und „Nicht-Arier“ im Besonderen nur verachtet und in ihrer Lebensweise einschränkt und jede Kleinigkeit maßregelt, kann die Sprache wohl kaum liebevoll sein. Es ist erschreckend, wie die Welt nach einem Sieg Hitlers aussehen würde. Lebenswert? Wohl kaum! Als ich das für mich begriffen habe, kam ich auch mit der Sprache besser klar. Womit ich allerdings immer wieder meine Schwierigkeiten hatte, waren die gebetsmühlenartigen Wiederholungen von Gedanken und Bedenken bzgl. der Vorgaben der Partei. Das unterbricht den Lesefluss und langweilt auf Dauer.
Der Schreibstil kam mir manchmal sehr unbeholfen vor und die Rechtschreib- und Grammatikfehler fielen mir unangenehm auf. Mit der Zeit habe ich mich jedoch auf die Geschichte eingelassen und die Charaktere nahmen immer mehr Gestalt an, wurden glaubhaft und verdienten sich immer mehr mein Mitgefühl. Vor allem mit Wolfgang konnte ich mich anfreunden. Wie muss es für diesen jungen Mann sein, wenn er feststellt, dass er keine Chance hat, sich in diesem Reich zu entfalten? Der keine Zukunft für sich in Großdeutschland sieht und sich nicht einmal seinen Eltern anvertrauen kann? Und Karl, der in eine prekäre Situation gerät und unter Druck gesetzt wird? Wie sehr kann sich ein Mensch verbiegen und selbst verleugnen, bis er daran zerbricht? Die Entwicklung, die Wolfgang im Laufe des Romans durchmacht, ist schön zu beobachten, absolut nachvollziehbar und gibt ein wenig Hoffnung. Als in einem von Karl geschriebenen Werk eine Alternativwelt, angelehnt an unsere, auftaucht, wird erst das Ausmaß der Schreckensherrschaft sicht- und spürbar. Die Vorstellung, dass Hitler den Krieg gewonnen hat und sein „Lebenswerk“ fortgeführt wird, ist beängstigend. Großdeutschland, D-S-A, Deutsch als Weltsprache und die Verbreitung der alleinigen Wahrheit der Partei stehen hier im Mittelpunkt. Erschreckend ist zudem der Drill in der Kompanie und wie die Kadetten einen Mann auf Befehl totschlagen als wäre er ein Stück Holz. Die Menschlichkeit kommt hier völlig abhanden und das Denken wird den Menschen sowieso abgenommen. Für mich eine absolute Horrorvorstellung! Immer mehr zeigt sich, was passiert, wenn die Mächtigen den Untergebenen ein Leben vorgeben und alles verbieten, was ihnen nicht in den Kram passt. Volkslieder, die langweilig und abgedroschen sind; immer gleiche Handlungen in Heimatfilmen; Verachtung für jegliche andere Lebenseinstellung; absolute Gleichheit und Hörigkeit der Partei gegenüber; Einschränkungen, Reglementierungen und eine einzige Kultur; Auslöschen der Vergangenheit, sogar der eigenen; Gehorsam bis zum Tod und vor allem kein selbständiges Denken. Für mich eine absolut grauenvolle Vorstellung! Das Buch lässt mich betroffen und traurig zurück, denn auch wenn es sich um eine fiktive Geschichte handelt, ist der Bezug zur heutigen Zeit durchaus gegeben. Immer wieder wird die Freiheit und Gleichheit aller Menschen eingeschränkt und verleugnet. Auch heute noch kann es gefährlich sein, gegen den Strom zu schwimmen oder seine Meinung ernsthaft zu vertreten. Der Titel „Allein unter seinesgleichen“ ist absolut passend gewählt. Das „Anderssein“ macht einsam, auch neben all den anderen, die sich verstellen und eine Fassade aufrechterhalten müssen.