Überzeugendes Bild vom abgehängten Osten Deutschlands
Marcel, Steffi, Jessica und Pascal wachsen in der Nähe von Magdeburg auf. Sie gehen gemeinsam in die Klasse, die von Steffis Mutter, der Frau Baumann geleitet wird. Steffi ist trotzdem klassenbeste, Marcel ...
Marcel, Steffi, Jessica und Pascal wachsen in der Nähe von Magdeburg auf. Sie gehen gemeinsam in die Klasse, die von Steffis Mutter, der Frau Baumann geleitet wird. Steffi ist trotzdem klassenbeste, Marcel und Pascal sind die Lichter ganz am Ende des Dunkels. Als Marcel die Schule nach der Neunten verlässt, ahnt er noch nicht, dass auch Steffi schmeißen wird, aber nicht nur damit überrascht sie ihn. Marcel fängt in der Drehspießbude von Steffis Vater Emilio an. Der ist ein herzensguter Typ, lacht viel, schwimmt auf Wolken, obwohl der Laden nicht läuft. Marcels treueste Kunden sind Pascal, der jeden Tag isst und Bier zischt, aber nie bezahlt und die gelbe Katze. Manchmal kommt noch Pascals Vater Dirk und klopft Sprüche:
Wenn die Amerikaner im Nahen Osten die Sau rauslassen, ist das in Ordnung, kein Problem, egal wie viele die da totfoltern. Wenn die Russen aber ihren Vorhof in Ordnung bringen, ist das auf einmal ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. So ein Unsinn! S. 164
Marcel denkt oft an seine kleine Schwester Vanessa, die das Gaspedal durchgetreten hat, mit 150 Sachen so schnell war, dass sie weder die rechte noch die Linkskurve kriegen wollte und stattdessen geradeaus frontal in die Friedhofsmauer gebrettert ist. An Steffi denkt er auch oft. Sie war Vanessas beste Freundin und seine, dachte er, bis sie dann eines Tages einfach weg war, verschwunden, ohne ein Wort. Beide Mädchen hatten Träume, wollten noch so viel erleben, wollten Tanzen und den Balaton sehen.
Jetzt hat er nur noch seinen besten Freund Pascal, der ihn mit der E-Zigarette vollqualmt und wie ein Loch säuft. Die Stütze hilft ihm dabei. Wenn sie es mal kohlemäßig zum FC Magdeburg schaffen lässt Pascal es richtig krachen. Da hat der den Spaß ganz allein.
Fazit: Domenico Müllensiefen hat ein düsteres Bild über eine von der Welt übersehene Provinz geschrieben, wovon es im Osten Deutschlands viele gibt. Warum soll man die Schule beenden, wenn man ohnehin abgehängt ist? Es gibt keine Arbeit, die Wohnsituation ist marode, die Infrastruktur grottig. Mit dem Mauerfall und dem Ausverkauf der ehemaligen DDR durch die Treuhand schwanden die Träume der Jugend, um Platz zu schaffen für eine Mentalität, die sehen muss, wo sie bleibt. In den bildungsarmen Köpfen der Leute entstand Platz für antidemokratische Gedanken und das Bedürfnis, egal wie, an Geld zu kommen, um sich in dem Gefühl von Sicherheit, die der Westen versprochen hat, wiegen zu können. Der Autor hat sich einen lockeren Schreibstil zunutze gemacht, der so überzeugend ist, als hätte er seine eigene Biografie geschrieben. Die Ödnis des Ortes, der zunehmend stirbt und die wenigen Menschen, die geblieben sind, die tagein tagaus um sich rumkreisen, müssen jeden Funken Toleranz verhindern. Die Charaktere sind auf den Punkt gezeichnet. Es hat mich amüsiert ihnen zuzusehen. Das habe ich gerne gelesen.