Cover-Bild Schnall dich an, es geht los
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25,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Kanon Verlag Berlin
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 352
  • Ersterscheinung: 14.08.2024
  • ISBN: 9783985681266
Domenico Müllensiefen

Schnall dich an, es geht los

Roman
»Endlich geht es mal um was. Nämlich die Scheißjahre. Drehspieß und Barbie, FCM und Dosenbier. Wenn Sitzenbleiben der einzige Ausweg ist. Mit dem Auto an die Mauer oder weiterleben, fast egal. Immer einsteigen, aber nie losfahren. Und am Ende tanzen. Endlich.« Grit LemkeFrüher begann in Jeetzenbeck die Freiheit. Der Ort in der Altmark war die erste Station auf der Reise in die weite Welt: nach Amerika. Doch heute kommt niemand so leicht von hier weg. Die Zugverbindung nach Altenwedel soll eingestellt werden, und die Einfamilienhäuser am Ortsrand verfallen. Die guten Zeiten, wenn es sie denn jemals gab, sind vorbei. Wie die des 1. FC Magdeburg. Doch Marcel, der als Drehspießverkäufer am Bahnhof arbeitet, will nicht aufhören zu träumen. Von Steffi, seiner großen Liebe, von einer heilen Familie, von einem besseren Leben im Takt der Tanzmusik. Bekommen hat er stattdessen einen besten Freund, der säuft, einen Vater, der nie und nimmer in Amerika war, und eine Schwester, die gegen die Friedhofsmauer gerast ist. Doch warum ist Vanessa noch immer tot, und was hat Steffi damit zu tun, die eines Tages wieder vor Marcel steht: mit ihren roten Haaren, ihrer Traurigkeit und ihrem unergründlichen Lächeln.»Ein lebens- und erfahrungsgesättigtes Erzählen, leicht und atmosphärisch dicht zugleich. Ein völlig eigenständiges Werk über Freundschaft und Liebe, Leben und Sterben sowie die kleinen und die großen Tode.« Dirk Oschmann

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.08.2024

Überzeugendes Bild vom abgehängten Osten Deutschlands

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Marcel, Steffi, Jessica und Pascal wachsen in der Nähe von Magdeburg auf. Sie gehen gemeinsam in die Klasse, die von Steffis Mutter, der Frau Baumann geleitet wird. Steffi ist trotzdem klassenbeste, Marcel ...

Marcel, Steffi, Jessica und Pascal wachsen in der Nähe von Magdeburg auf. Sie gehen gemeinsam in die Klasse, die von Steffis Mutter, der Frau Baumann geleitet wird. Steffi ist trotzdem klassenbeste, Marcel und Pascal sind die Lichter ganz am Ende des Dunkels. Als Marcel die Schule nach der Neunten verlässt, ahnt er noch nicht, dass auch Steffi schmeißen wird, aber nicht nur damit überrascht sie ihn. Marcel fängt in der Drehspießbude von Steffis Vater Emilio an. Der ist ein herzensguter Typ, lacht viel, schwimmt auf Wolken, obwohl der Laden nicht läuft. Marcels treueste Kunden sind Pascal, der jeden Tag isst und Bier zischt, aber nie bezahlt und die gelbe Katze. Manchmal kommt noch Pascals Vater Dirk und klopft Sprüche:

Wenn die Amerikaner im Nahen Osten die Sau rauslassen, ist das in Ordnung, kein Problem, egal wie viele die da totfoltern. Wenn die Russen aber ihren Vorhof in Ordnung bringen, ist das auf einmal ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. So ein Unsinn! S. 164

Marcel denkt oft an seine kleine Schwester Vanessa, die das Gaspedal durchgetreten hat, mit 150 Sachen so schnell war, dass sie weder die rechte noch die Linkskurve kriegen wollte und stattdessen geradeaus frontal in die Friedhofsmauer gebrettert ist. An Steffi denkt er auch oft. Sie war Vanessas beste Freundin und seine, dachte er, bis sie dann eines Tages einfach weg war, verschwunden, ohne ein Wort. Beide Mädchen hatten Träume, wollten noch so viel erleben, wollten Tanzen und den Balaton sehen.

Jetzt hat er nur noch seinen besten Freund Pascal, der ihn mit der E-Zigarette vollqualmt und wie ein Loch säuft. Die Stütze hilft ihm dabei. Wenn sie es mal kohlemäßig zum FC Magdeburg schaffen lässt Pascal es richtig krachen. Da hat der den Spaß ganz allein.

Fazit: Domenico Müllensiefen hat ein düsteres Bild über eine von der Welt übersehene Provinz geschrieben, wovon es im Osten Deutschlands viele gibt. Warum soll man die Schule beenden, wenn man ohnehin abgehängt ist? Es gibt keine Arbeit, die Wohnsituation ist marode, die Infrastruktur grottig. Mit dem Mauerfall und dem Ausverkauf der ehemaligen DDR durch die Treuhand schwanden die Träume der Jugend, um Platz zu schaffen für eine Mentalität, die sehen muss, wo sie bleibt. In den bildungsarmen Köpfen der Leute entstand Platz für antidemokratische Gedanken und das Bedürfnis, egal wie, an Geld zu kommen, um sich in dem Gefühl von Sicherheit, die der Westen versprochen hat, wiegen zu können. Der Autor hat sich einen lockeren Schreibstil zunutze gemacht, der so überzeugend ist, als hätte er seine eigene Biografie geschrieben. Die Ödnis des Ortes, der zunehmend stirbt und die wenigen Menschen, die geblieben sind, die tagein tagaus um sich rumkreisen, müssen jeden Funken Toleranz verhindern. Die Charaktere sind auf den Punkt gezeichnet. Es hat mich amüsiert ihnen zuzusehen. Das habe ich gerne gelesen.

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Veröffentlicht am 14.08.2024

Deutsche Geschichte von 1990 bis 2023 einmal anders

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Dieser Roman von Domenico Müllensiefen ist die Momentaufnahme eines Stücks Deutschland, wie sie viele Bürger der ehemaligen DDR nach der Wende erlebt haben. Der Autor macht den Versuch, der Ursache auf ...

Dieser Roman von Domenico Müllensiefen ist die Momentaufnahme eines Stücks Deutschland, wie sie viele Bürger der ehemaligen DDR nach der Wende erlebt haben. Der Autor macht den Versuch, der Ursache auf den Grund zu gehen, warum im Osten Deutschlands die Ansichten so vieler Bürger offenbar rechts sind.

In diesem unterhaltsamen Roman analysiert Müllensiefen nicht nur die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nach der Wiedervereinigung, sondern auch die tieferliegenden historischen und kulturellen Prägungen, die das Denken und Handeln der Menschen in den neuen Bundesländern beeinflussen. Er beleuchtet die Enttäuschungen und Hoffnungen der Bürger und setzt sich intensiv mit der Frage auseinander, wie sich ihre Lebensbedingungen und Erwartungen in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben. Durch persönliche Erlebnisse und akribische Recherchen gelingt es dem Autor, ein umfassendes Bild des heutigen Ostdeutschlands zu zeichnen und den Leser in eine facettenreiche und oft widersprüchliche Welt zu entführen.

Der Roman ist eine Aneinanderreihung von Ereignissen im Leben eines jungen Mannes. Er erzählt uns die Geschichten in erster Person und trotzdem weiß man nicht, ob es sich um den Protagonisten handelt oder nicht. Die Erzählweise ist an vielen Stellen humorvoll, die Ereignisse sind aus dem Leben gegriffen und spiegeln sicherlich das Gefühl vieler Leser wider. An so mancher Stelle ist man geneigt zuzustimmen, weil man so etwas oder so ähnliches selbst schon erlebt hat. Man kennt also solch eine Szene oder solch ein Gespräch durchaus aus eigener Erfahrung. Das finde ich schön an diesem Roman.

Leider hat mir in diesem Roman aber die Dramaturgie gefehlt. Wenn es einen Protagonisten geben sollte, dann erfährt man nicht dessen Wünsche und Ziele. Er durchlebt auch keine Konflikte. Es stellt sich ihm keiner und nichts in den Weg, außer das Leben selbst. Er schildert ja nur, was in seinem Leben passiert als Verkäufer in einer Drehspießbude.

Dazu gehört z.B. ein Kapitel über Fußball. Nicht mein Ding. Wenn ich Stammtischgelaber über Fußball hören will, dann kann ich in die Kneipe an der Ecke gehen und muss das nicht in einem Roman nachlesen.

Die Klärung der Fragen, warum Steffi vor zwanzig Jahren verschwunden war oder warum sich Vanessa vor zwanzig Jahren das Leben genommen hatte, schwächelt etwas, wird zu spät ausgespielt, als dass sie die Geschichte noch spannend machen können.

Ebenso misslich empfinde ich den Umstand, dass viele Absätze so lang sind, dass sie über eine Seite hinausgehen. Das ist sehr leseunfreundlich gestaltet und Domenico Müllensiefen scheint damit den Augen der Leser keine Pause zu gönnen. Doch die fehlende Spannung ersetzt er dadurch nicht.

Letztendlich haben mich aber die Überraschungen im Roman und vor allem sein faszinierendes Ende mit der fehlenden Kontur versöhnt. Die Informationen, die den Roman dann fast zu einem Krimi werden lassen, möchte man dann schließlich doch aufsaugen wie ein Schwamm wenige Tropfen Wasser.

Das Buch ist durchaus zu empfehlen für Leser, die gerne voller Humor und Sarkasmus etwas lesen möchten, was sie selbst vielleicht auch schon mal erlebt haben, dem sie zustimmen können. Wer am Ende des Romans sagen möchte „Ja, so isses.“, der wird sich mit dem Roman wohlfühlen.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2024