Die beiden Autoren stellen das Problem im Vorwort sehr treffend dar: Das Thema „Impfen“ sorgt seit einiger Zeit für sehr emotionale, hitzige Diskussionen, wo unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen. Der Grund dafür ist, dass es dabei um Kinder geht und man als Eltern natürlich nur das Beste für sie will, andererseits auch nicht mehr dem Arzt blind vertrauen möchte. Letzteres ist sicherlich ein guter Trend, es ist aber gar nicht leicht, verlässliche, seriöse Informationen zu finden, vor allem, weil der Büchermarkt von Impfskeptiker-Literatur geflutet wird und auch online viele Gruselgeschichten über Impfschäden kursieren. Die Gegenseite ist wie so oft viel lauter und deswegen auch so überzeugend. Man kennt kaum noch Menschen, die an den entsprechenden Krankheiten leiden oder litten, eben weil über Jahrzehnte die Herdenimmunität so gut funktioniert hat, deswegen fragen sich durchaus auch gebildete Menschen, ob Impfskepsis nicht angebracht ist. Mangelndes Einfühlungsvermögen von Ärzten, die Sorgen einfach abtun, treibt verunsicherte Eltern erst recht in die Arme der Impfkritiker.
Die kritische Haltung ist eine gesunde Lebenseinstellung, aber: Ein paar Stunden im Internet können nicht ein Medizinstudium ersetzen. Es ist nicht möglich, den Nutzen einer Impfung durch eigene Erkenntnisse abzuschätzen. Die Autoren dieses Buches aber zeigen, wie man transparente, verlässliche, fundierte Informationen von der neumodischen Panikmacherei im Internet trennen kann. Jedes Kapitel wird mit einer kurzen Beschreibung eingeleitet, was man daraus mitnehmen soll. Es wird z.B. auf einzelne Impfungen eingegangen, in einem Kapitel wird aber auch die Geschichte des Impfens erzählt. Dieses Kapitel war für mich vielleicht das interessanteste und enthielt viele überraschende Fakten.
Die Autoren sprechen systematisch Impfmythen und Argumente der Impfgegner an und entkräften diese auf verständliche, aber nicht belehrende, sondern sehr sympathische Weise und stellenweise sogar mit Humor, überwiegend mit Gegenargumenten oder Fakten. Man erfährt z.B., dass Impfungen das Immunsystem genauso trainieren wie Impfskeptiker behaupten, dass eine Krankheit es tut, allerdings mit weniger Risiken. Tatsächlich schwächt eine Masernerkrankung sogar nachweislich auf längere Zeit das Immunsystem. Ganz hinten gibt es sogar jeweils für Deutschland, Österreich und die Schweiz Übersichten, wann welche Impfung gemacht werden sollte usw. Insgesamt ist das Buch einfach voll mit hilfreichen Informationen rund ums Impfen.
Hier meine einzige Kritik und das, obwohl mir persönlich das Buch wirklich gefallen hat: Hin und wieder liest man auch einen Satz wie „Das ist einfach kompletter Unsinn“ (S. 48). In solchen Fällen befürchte ich, dass eine weniger emotionale Einschätzung seriöser gewirkt hätte. Allgemein wäre es überzeugender gewesen, wenn die Autoren jeden ihrer Fakten in einer Fußnote mit einer konkrete Quelle belegt und nicht nur eine Auswahlbibliographie am Ende des Buches zur Verfügung gestellt hätten, aber die Frage ist, ob Leser das Buch dann nicht als zu wissenschaftlich empfinden würden. Ein wenig problematisch finde ich jedenfalls, dass sie oft erwähnen, dass etwas durch Studien widerlegt worden ist, dann aber meist nicht die konkrete Studie nennen und auch nicht im Einzelnen die kausalen Zusammenhänge erklären. Besser wäre es gewesen, das verfügbare medizinische Wissen auf laiengerechte Weise aufzubereiten, damit man als Leser selbst zu der Erkenntnis kommen kann: „Ah, okay, das kann ja dann nur so sein.“
Ein großes Lob aber für diese Aussage, die ich einfach hier hervorheben muss, weil sie auf alle aktuellen Diskussionen zutrifft, egal, um welches Thema es geht: „Leider gibt es auch auf Seiten der Impfbefürworter ziemliche Klugscheißer. Sie greifen in höhnischem Ton die Vertreter der Gegenseite an. Das ist einerseits zu verstehen, [… a]ndererseits kann der Genuss an Rechthaberei, der manchmal herauszuhören ist, auch genau die abschrecken, die man eigentlich überzeugen möchte.“ (S. 63)
Man sieht in diesem Buch sehr deutlich, dass die Impfskepsis, die 2019 von der WHO zu einer der zehn großen Bedrohungen der globalen Gesundheit erklärt wurde, nur Teil eines größeren Problems ist, nämlich eines generellen Anstiegs von „Anti-Wissenschaft“, zu der z.B. auch die Leugnung von Klimawandel gehört. Ich bin ein bisschen skeptisch, ob dieses Buch diejenigen erreicht, die es am nötigsten haben, weil sie vielleicht gar nicht auf die Idee kommen das Buch in die Hand zu nehmen oder es bewusst meiden werden. Ich kann es aber nur empfehlen, weil es sich nicht nur angenehm liest, sondern auch ein sehr wichtiges und aktuelles Problem auf eine Weise aufschlüsselt, die am Ende keine andere Schlussfolgerung zulässt als: Wer sein Kind liebt, der lässt es impfen. Danke an meine Eltern, dass sie das getan haben.