Erweitert den Horizont
Auf einer Reise nach Europa steckte sich die Autorin des Buches mit einem Virus an und war jahrelang an ihr Bett gefesselt. Zur Aufmunterung brachte ihr eine Freundin ein Alpenveilchen, an dessen Topf ...
Auf einer Reise nach Europa steckte sich die Autorin des Buches mit einem Virus an und war jahrelang an ihr Bett gefesselt. Zur Aufmunterung brachte ihr eine Freundin ein Alpenveilchen, an dessen Topf eine Schnecke hing. Fortan wird die Schnecke zum festen Bestandteil des Alltags der kranken Autorin. Sie beobachtet sie, macht sich mit ihren Eigenarten vertraut, baut ihr ein Terrarium, versorgt sie mit der richtigen Nahrung und darf schließlich sogar Zeuge davon werden, wie die Schnecke Eier ablegt und ihr Nachwuchs schlüpft.
Genau wie Bailey selbst, muss die Schnecke sich zunächst mit einer neuen Situation zurechtfinden. Sie wurde ihrem natürlichen Habitat entrissen, findet sich in einem Raum ohne Nahrung wieder und knabbert notgedrungen an Briefen und Papier, um zu überleben. Durch den Überlebenswillen und den Rhythmus der Schnecke ändert sich die Sicht der Autorin auf ihre eigene Situation und auf die Welt. Völlig neue Perspektiven eröffnen sich ihr, zum Beispiel wenn sie darüber nachdenkt, wie es sich anfühlen muss, in und mit einem Schneckenhaus zu leben.
Der neue Mitbewohner bietet Abwechslung, aber er lässt Bailey vor allem achtsamer werden und löst Bewunderung und Respekt für eine Gattung von Tieren in ihr aus, die eine der erfolgreichsten überhaupt ist und bereits seit über einer halbe Milliarde Jahren existiert. Durch die Schnecke entwickelt sie ein neues Verhältnis zur Natur, das gleichzeitig auch dem Leser die Augen für das Leben von Schnecken öffnet. Die Schnecke wird zu einem Individuum mit einem ganz eigenen Charakter. Bailey bezeichnet sie als elegant, mutig und abenteuerlustig. Sie ist überzeugt, dass ihre Schnecke bewusste Entscheidungen trifft, dass sie lernt und sich erinnern kann.
“Das Geräusch einer Schnecke beim Essen” ist eine Bereicherung für jeden Leser, denn wer wusste schon vor der Lektüre, dass eine Landschnecke 2640 Zähne hat und 80 Zahnreihen, die sich erneuern? Oder dass Schnecken sich hauptsächlich auf ihren Geruchs- und Tastsinn verlassen, dass sie taub sind und ihre Sicht nur auf die Wahrnehmung von hell und dunkel beschränkt ist? Bailey verbindet dieses Wissen mit ihren Beobachtungen und mit literarischen Zitaten, die zusammen ein rundes, spannendes und vielschichtiges Bild ergeben. Spätestens mit diesem Buch hat die Schnecke so ihren wohlverdienten Platz in der Literatur gefunden.