Ein vielschichtiger Roman über eine kurdisch-türkische Migrantenfamilie in Deutschland
Fatma Aydemir erzählt in ihrem Roman „Dschinns“ die Geschichte einer kurdisch-türkischen Familie, die in den siebziger Jahren nach Deutschland kam. Während die Eltern, Hüseyin und Emine, ihr Leben in Deutschland ...
Fatma Aydemir erzählt in ihrem Roman „Dschinns“ die Geschichte einer kurdisch-türkischen Familie, die in den siebziger Jahren nach Deutschland kam. Während die Eltern, Hüseyin und Emine, ihr Leben in Deutschland nach den alten Mustern, geprägt von ihrer Erziehung in der alten Heimat und dem Koran, weiterführen, versuchen ihre Kinder die Chancen zu ergreifen und ihr Leben nach westlichen Vorbildern zu gestalten. Es kommt zu Konflikten und Missverständnissen innerhalb der Familie, die sich langsam auseinanderlebt.
Erst nachdem Hüseyin eine Wohnung in Istanbul gekauft hat, um in der Türkei sein Rentnerdasein zu genießen, treffen alle Familienmitglieder dort zusammen. Der Anlass dafür ist tragisch und traurig zugleich: Hüseyin ist am Tag des Einzugs an einem Herzinfarkt gestorben, sie kommen zu seiner Beerdigung.
Fatma Aydemir erzählt diese Familiengeschichte aus sechs unterschiedlichen Perspektiven und lässt alle Familienmitglieder nacheinander zu Wort kommen. Interessant fand ich die Betrachtungsweise der Kinder, zwei Söhnen und zwei Töchtern, die unterschiedliche Wege in ihrer neuen Heimat eingeschlagen haben. Um ihre Ziele zu erreichen müssten alle von ihnen einige Hürden überwinden, sowohl in der Gesellschaft wie auch in der eigenen Familie. Die Konflikte, die dabei entstanden beziehen sich vor allem auf die „strenge“ Mutter, der sie Schuld für ihre Lage, für die Entwurzelung geben. Besonders die ältere Tochter Sevda, die zuerst von den Eltern in der Türkei gelassen wurde, hat enorme Wut auf ihre Mutter, die sie nach alten Traditionen erziehen wollte und ihr sowohl die Schulbildung wie auch die Selbstbestimmung untersagt hatte.
Emine, die Mutter, erzählt als Letzte ihre Geschichte, in der sie ein Familiengeheimnis enthüllt, das ein neues Licht auf das Leben der Familie wirft. Dieser Kapitel der Geschichte ist mir sehr nah gegangen, das tragische Schicksal der Mutter hat mich innerlich erschüttert.
Die Familie, all ihre Mitglieder sind wie Dschinns:
„Dschinns sind alles, was wir komisch finden, anders, unnatürlich. (…)
Dschinns sind weder gut noch böse. …. Sie können beides sein oder nichts davon. Wie Menschen eben.“ (Zitat S.146)
Fatma Aydemir gewährt in ihrem Roman tiefe Einblicke in das Leben einer Gastarbeiterfamilie, die sich oft fremd fühlt in einem Land, dessen Sprache sie nicht spricht. Ansonsten kommen solche Themen wie Entwurzelung, Homosexualität, Identität, Emanzipation, Selbstbestimmung, Nichtakzeptanz – alle mit der Migration im Hintergrund - in dem Roman zur Sprache. Diese vielfaltige Thematik trägt dazu bei, dass die Geschichte manchmal überladen wirkt. Auch das tragische Finale hat bei mir diese Empfindung verstärkt.
Fazit: Eine Familiengeschichte mit den spannenden, schonungslosen Einblicken in ein bewegendes Leben einer Migrantenfamilie, meisterhaft von der Autorin erzählt. LESENSWERT!