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Veröffentlicht am 20.12.2024

Bewegende Spurensuche -eine Chronik des Überlebens und der Hoffnung

Suche liebevollen Menschen
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MEINE MEINUNG
Das Buch "Suche liebevollen Menschen: Mein Vater, sieben Kinder und ihre Flucht vor dem Holocaust" von Julian Borger, dem Leiter des Außenpolitik-Ressorts der britischen Zeitung »The Guardian«, ...

MEINE MEINUNG
Das Buch "Suche liebevollen Menschen: Mein Vater, sieben Kinder und ihre Flucht vor dem Holocaust" von Julian Borger, dem Leiter des Außenpolitik-Ressorts der britischen Zeitung »The Guardian«, ist ein tiefgründiges und sorgfältig recherchiertes Werk, das die erschütternden Schicksale jüdischer Kinder aus Wien während des Holocausts beleuchtet.
Borger, der lange Zeit mit unbeantworteten Fragen zu seiner Familiengeschichte lebte, begibt sich nach dem erschütternden und unerwarteten Suizid seines Vaters Robert im Jahr 1983 auf eine bewegende Spurensuche. Diese führt ihn nicht nur zu den Wurzeln seiner Familie, sondern enthüllt auch bislang unbekannte und verborgene Familiengeheimnisse. Seine umfangreiche Recherche entwickelt sich zu einer emotionalen Reise in die Vergangenheit, bei der Borger Schicht um Schicht die komplexe Geschichte seiner Familie aufdeckt und bisher unerzählte Kapitel im Leben seines Vaters und seiner Verwandten offenbart.
Ausgangspunkt für Borgers Buch bildet eine zufällig entdeckte Anzeigenspalte im Manchester Guardian vom 3. August 1938, in der verzweifelte jüdische Eltern aus Wien um Aufnahme für ihre Kinder in englischen Familien baten. Darunter ist auch eine kurze Annonce, in der Borgers weitsichtiger Großvater Leo nach einer "liebevollen Person" für seinen Sohn Robert suchte. So beginnt Borgers auf Basis der Kleinanzeigen seine fesselnden Nachforschungen nicht nur zur Geschichte seines eigenen Vaters, sondern auch zu sechs weiteren jüdischen Kindern aus Wien, die durch ähnlich verzweifelte Anzeigen vor der Verfolgung durch die Nazi-Diktatur in Sicherheit gebracht und vor dem sicheren Tod bewahrt werden sollten.
Borger gelingt es hervorragend, die persönliche Lebensgeschichte seines Vaters Robert mit den bewegenden Einzelschicksalen der anderen Flüchtlingskinder zu verknüpfen und dabei zugleich aufschlussreiche historische Aspekte des Holocausts zu beleuchten. Durch die geschickte Verflechtung von individuellen Erlebnissen mit bedeutsamen historischen Ereignissen schafft der Autor ein vielschichtiges Bild der damaligen Zeit. Die einfühlsame Schilderung der Einzelschicksale ermöglicht es, sich emotional mit den Betroffenen zu identifizieren und deren erschütternde Erfahrungen nachzuvollziehen. Gleichzeitig vermittelt es Borger wertvolle historische Erkenntnisse, die über die ergreifenden persönlichen Schicksale hinausgehen und ein tieferes Verständnis für die Komplexität der Ereignisse schaffen.
Die besondere Stärke des Buches liegt in Borgers fundierter Recherche und seiner Fähigkeit, die emotionale Tiefe der geschilderten Erlebnisse zu vermitteln. Sein lebendiger, anschaulicher Schreibstil erleichtert den Zugang zu dem schwierigen und sehr aufwühlenden Thema. Vereinzelt lockern Schwarz-Weiß-Fotografien aus Familienarchiven den Text auf und verleihen den erzählten Geschichten eine zusätzliche Authentizität.
Der Autor hat nicht nur Familienarchive durchforstet, sondern es ist ihm auch nach den vielen Jahrzehnten noch gelungen, Informationen zu finden und Kontakte zu Nachkommen herzustellen, um die facettenreichen und authentischen Geschichten der anderen geretteten Kinder zu erzählen. Detailliert und eindrucksvoll zeichnet Borger die unterschiedlichen Wege nach, die diese Kinder einschlugen, beschreibt die näheren Umstände ihrer Flucht, ihre Widerstandsfähigkeit und den ungebrochenen Überlebenswillen bei ihrer Anpassung an das neue Leben in der Fremde.
Die persönlichen Geschichten, wie die von Georg Mandler oder den Brüdern Schwarz, sind besonders ergreifend. Die erschütternden Schilderungen von Diskriminierung und Verfolgung offenbaren die grausame Realität, der sich die jüdische Bevölkerung Wiens in der damaligen Zeit ausgesetzt sah.
Borger führt uns anschaulich die langfristigen Auswirkungen der traumatischen Flucht und des Verlusts der Familie auf die Identität und das psychische Wohlbefinden der Geretteten vor Augen. Viele Betroffenen wählten den Weg der Verdrängung, um weiterleben zu können, was die Aufarbeitung der Traumata erschwerte.
Gleichzeitig ergründet Borger die subtilen Mechanismen des transgenerationalen Traumas, dessen Auswirkungen über Generationen hinweg bis in die Gegenwart reichen. Einfühlsam zeigt er auf, wie unterschiedlich die Betroffenen mit ihren Erlebnissen umgegangen sind. Er beleuchtet eingehend zudem die emotionalen Narben, die die Erfahrungen bei den Überlebenden und ihren Nachkommen hinterlassen haben. Eindrücklich streicht er heraus, wie schwierig bei vielen die Balance zwischen dem Erinnern und dem Weiterleben ist und wie problematisch ein Verharren in traumatischen Erinnerungen und deren vollständiger Verdrängung ist. Geschickt thematisiert er auch die verpassten Gelegenheiten, mit den Überlebenden über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Für Borger selbst hat sich das Verfassen dieses Werkes zu einer vielschichtigen Erfahrung entwickelt, die weit über eine bloße Aufarbeitung der Vergangenheit hinausgeht und zu einer tiefgreifenden Reise des Verstehens seiner Familiengeschichte wurde. Dabei ist es ihm schließlich gelungen ein nuancierteres Bild seines Vaters zu erhalten, dessen Handlungen und Gefühlswelt besser zu verstehen. Diese Auseinandersetzung ermöglichte ihm ein tieferes Verständnis für die komplexen emotionalen Verflechtungen innerhalb seiner Familie und öffnete den Blick für die weitreichenden Folgen historischer Ereignisse auf persönlicher Ebene.
Somit ist Borgers Buch nicht nur eine bewegende Chronik des Überlebens, sondern auch eine lehrreiche Reflexion über die lebenslangen Auswirkungen von Trauma und Verlust auf die Überlebenden und ihre Familien. Zudem erinnert es eindringlich an die Kraft der Hoffnung und Menschlichkeit in Zeiten grauenvollen Leids und unvorstellbarer Grausamkeit.

FAZIT
Ein emotional berührendes, lehrreiches und historisch wertvolles Buch, das nur ein bewegendes Zeugnis persönlicher Schicksale ist, sondern auch eine eindringliche Mahnung an zukünftige Generationen aus der Geschichte zu lernen!
Ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur!

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  • Handlung
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Veröffentlicht am 19.12.2024

Ein toller Wegweiser zur naturnahen Gartenkultur

Slow Gardening
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MEINE MEINUNG
Das wundervolle, beim Kosmos-Verlag erschienene Buch "Slow Gardening: Unser Weg zum naturnahen Küchengarten" von Elisabeth Grindmayer und Stephanie Haßelbeck ist so viel mehr als nur ein ...

MEINE MEINUNG
Das wundervolle, beim Kosmos-Verlag erschienene Buch "Slow Gardening: Unser Weg zum naturnahen Küchengarten" von Elisabeth Grindmayer und Stephanie Haßelbeck ist so viel mehr als nur ein gewöhnlicher Gartenratgeber mit ausführlichen Schritt-für-Schritt-Anleitungen – es ist vielmehr eine faszinierende Einführung ins „Achtsame Gärtnern“ und eine neue kreative Gartenkultur, die auf Nachhaltigkeit und Naturnähe setzt.
Die Schwestern Lisa und Steffi, auch bekannt als @farmmade_sisters, präsentieren mit ihrem Buch einen inspirierenden und praxisnahen Ratgeber für alle, die einen naturnahen Küchengarten anlegen und pflegen möchten.
Als Quereinsteigerinnen mit landwirtschaftlichen Wurzeln lassen sie uns sehr anschaulich an ihren Erfahrungen aus ihren Gärten in Bayern und Schweden teilhaben und stellen uns ihre persönliche Herangehensweise an nachhaltiges Gärtnern vor. Die sympathischen Autorinnen verstehen es hervorragend, eine beeindruckende Fülle an Informationen in einem gut strukturierten Format leicht verständlich und abwechslungsreich zu präsentieren. So deckt das Buch ein breites Spektrum an praxisorientierten Themen ab, die für das naturnahe Gärtnern relevant sind, und bietet dem interessierten Leser viele tolle Anregungen, interessantes Hintergrundwissen, nützliche Hinweise sowie Tipps für leckere Rezepte.
Im allgemeinen, einführenden Teil des Buchs stellen die Autorinnen ihre „Philosophie“ des Slow Gardening als ganzheitlichen Ansatz vor. Ihnen geht es vor allem um die Schaffung eines naturnahen, vielfältigen und bedürfnisorientierten Gartens mit einem besonderen Fokus auf Nachhaltigkeit, Selbstversorgung und bewusstes, tierfreundliches Gärtnern.
Die Autorinnen geben spannende Einblicke in ihre persönlichen Erfahrungen, ihre Erfolgserlebnisse, Lernprozesse und so manche Rückschläge, wo uns dazu ermutigt, selbst zu experimentieren, Erfahrungen zu sammeln und eigene eigene Wege im Garten zu gehen. Das Buch richtet sich sowohl an Einsteiger als auch an erfahrene Gärtner, die ihr Wissen erweitern möchten und sich für einen naturnahen Ansatz interessieren.
Die vorgestellten Gartenkonzepte sind äußerst flexibel und lassen sich leicht an individuelle Bedürfnisse sowie verschiedene Gartengrößen anpassen.
Das Inhaltsverzeichnis gibt einen Überblick über die behandelten Hauptthemengebiete:
KÜCHENGARTEN BASICS, VIELFALT IM GEMÜSEBEET, BLUMEN FÜR TISCH & TAFEL, KRÄUTER & HEILPFLANZEN; HALTBARMACHEN sowie NATURNAH GÄRTNERN.
Egal ob man sich für Anlage und Pflege eines Küchengartens, alte Tomatensorten und Bewahrung traditioneller Methoden, Wildwiesen und Förderung der Biodiversität oder eher für praktische Tipps zur natürlichen Schädlingsbekämpfung interessiert – man findet in diesem Buch viele Anregungen und jede Menge Praxiswissen, so dass man gar nicht mehr abwarten kann, die vorgestellten Konzepte in die Praxis umzusetzen.
Besonders gut haben mir die detaillierten Anleitungen zur Gestaltung eines vielfältigen Küchengartens,
die hilfreiche Mischkulturtabelle sowie die nach Jahreszeiten geordneten To-Do-Listen für das Gemüsebeet gefallen, die eine übersichtliche Orientierung für die anstehenden Tätigkeiten bieten.
Darüber hinaus wird aber nicht nur die Kultivierung von Nutzpflanzen behandelt, sondern die Autorinnen widmen sich auch der Schönheit von Blumen und der Wichtigkeit von Heilkräutern.
Besonders hervorzuheben sind außerdem die tollen Rezepte und kreativen Ideen zur Verarbeitung und Konservierung der Ernte aus eigenem Anbau, aus denen ich noch viele neue Anregungen mitnehmen konnte.
Die optische Gestaltung des gebundenen Buchs ist außerordentlich gelungen. Auf dem matten, griffigen Papier kommen die farbigen Fotos und verschiedenen Tabellen hervorragend zur Geltung. Die Verarbeitungsqualität ist einwandfrei und unterstreicht den rundum positiven Gesamteindruck.
Ansprechende, gut verständliche und unterhaltsam verfasste Texte und vor allem die vielen, stimmungsvollen Farbfotos und gelungenen Schnappschüsse von den Autorinnen, die mit schönen Impressionen und ungewöhnlichen Perspektiven nicht nur die Schönheit naturnaher Gärten einfangen sondern als praktische Anleitungen auch den Inhalt sehr anschaulich illustrieren. Sie sorgen dafür, dass man das Buch immer wieder gerne zur Hand nimmt. So lässt man sich beim Durchblättern gerne inspirieren und geht aufgrund der hilfreichen Ratschläge hochmotiviert ans Werk.
Abgerundet wird das Buch mit einem kurzen Autorinnen-Porträt, einer Danksagung, einigen weiterführenden nützlichen Adressen sowie einem alphabetischen Register.

FAZIT
Ein rundum gelungener Wegweiser rund ums naturnahe Gärtnern, der mit seiner perfekten Mischung aus Grundlagenwissen, praxisnaher Herangehensweise, kreativen Ideen und wunderschöner inspirierender Gestaltung überzeugt.
Ein Muss für alle, die einen nachhaltigen, vielfältigen und ertragreichen Küchengarten planen!

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Veröffentlicht am 19.12.2024

Kultkommissar Kluftinger zwischen Kriminalfall und Lokalpolitik

Lückenbüßer (Ein Kluftinger-Krimi 13)
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MEINE MEINUNG
Die beliebte Krimireihe um Kommissar Kluftinger von dem deutschen Autorenduo Volker Klüpfel und Michael Kobr geht mit " Lückenbüßer" bereits in die dreizehnte Runde.
Da Vorkenntnisse aus ...

MEINE MEINUNG
Die beliebte Krimireihe um Kommissar Kluftinger von dem deutschen Autorenduo Volker Klüpfel und Michael Kobr geht mit " Lückenbüßer" bereits in die dreizehnte Runde.
Da Vorkenntnisse aus den vorherigen Bänden der Reihe und aus früheren Fällen nicht erforderlich sind, können die Krimis problemlos auch unabhängig voneinander gelesen werden.
Die Regionalkrimi-Reihe zeichnet sich durch eine unterhaltsame Mischung aus interessantem Krimifall, viel Allgäuer Lokalkolorit und charakteristischem Humor aus, gewürzt mit urigen, lebendigen Charakteren und gelungener Situationskomik.
Interims-Polizeipräsident Kluftinger leitet die Anti-Terror-Übung „Alpenglühen“ in den Allgäuer Bergen. Doch der routinemäßige Einsatz muss abgebrochen werden, als ein Polizist tot aufgefunden wird. Nun stehen schwierige Ermittlungen zum fatalen Ausgang des aus dem Ruder gelaufenen Einsatzes an und zur möglichen Verantwortung für den mysteriösen Todesfall. Auch privat hat der sympathische Kommissar Kluftinger einiges um die Ohren. So hat er sich breitschlagen lassen, sich auf eine Liste für die Gemeinderatswahl setzen zu lassen und als Lückenbüßer einzuspringen. Als er jedoch erfährt, dass sein Erzrivale Dr. Langhammer ebenfalls kandidiert, wird sein Ehrgeiz geweckt und sein Ausflug in die Lokalpolitik entwickelt sich zunehmend zu einem erbitterten Wahlkampf.
Nun sieht sich Kluftinger mit gleich zwei Herausforderungen konfrontiert, denn neben seiner unerwartet zeitaufwändigen Kandidatur für den Gemeinderat gilt es auch die wahren Hintergründe des vermeintlichen Unglücks mit Todesfolge aufzuklären.
Der eigentliche Kriminalfall entwickelt sich leider sehr gemächlich und tritt hinter der Rahmenhandlung um Kluftingers Privatleben und den Wahlkampf derart stark zurück, dass kaum Spannung aufkommt. Die Ermittlungen verlaufen lange ohne klare Spur, gewinnen erst zum Ende hin an Dynamik.
Der Regionalkrimi lebt vor allem von seinen skurrilen Charakteren und dem humorvollen Schreibstil. Trotz seiner vielen Schrullen ist Kluftinger ein sympathischer Protagonist, der zum Ende hin sogar mit einer reiferen Seite seiner Persönlichkeit überraschen kann.
Im Gegensatz zu seinem naiven, etwas tollpatschigen Auftreten im Alltag agiert er als Ermittler durchaus kompetent. Insbesondere die Einblicke in sein Privatleben und sein unbeholfener Umgang mit moderner Technik und sozialen Medien, sorgen für zahlreiche amüsante Momente. Besonders unterhaltsam sind auch seine schlagfertigen Wortgefechte mit seinem Rivalen Dr. Langhammer. Allerdings wirken die wiederkehrenden Elemente seines vorhersehbaren Verhaltens und seine charakteristischen Sprüche inzwischen etwas ermüdend. Eine deutlichere Weiterentwicklung des Charakters wäre wünschenswert.
Die Auflösung des Falls schließlich ist schlüssig, aber sehr vorhersehbar und bedient für meinen Geschmack aber zu sehr aktuelle gesellschaftspolitische Klischees.
ZUM HÖRBUCH
Ein besonderes Highlight ist das Einlesen des Hörbuchs durch die Autoren Klüpfel und Kobr zusammen mit Martin Umbach. Durch den Einsatz des Allgäuer Dialekts erhält die unterhaltsame Geschichte das gewisse Etwas und durch die regionale Färbung eine besondere Authentizität. Ihre Stimmen passen sehr gut zu den urigen Charakteren und der Atmosphäre des humorvollen Krimis.
So fällt es nicht schwer, sich in das lebendig dargestellte Setting und Allgäuer Lokalkolorit hineinzuversetzen.
Die Sprecher sorgen mit ihrer stimmigen stimmlichen Interpretation für eine lebendige und authentische Lesung. Es gelingt ihnen hervorragend, Dynamik und Tempo an die jeweilige Stimmung anzupassen und an den richtigen Stellen auch Humor, Emotionen und feine Nuancen einzubringen.
Insgesamt ist die Synchronisation des ungekürzten Hörbuchs durch den dynamischen Vortrag und das nette regionale Flair sehr gelungen und sorgt für einen vergnüglichen Hörgenuss!
FAZIT
Eine solide Fortsetzung der unterhaltsamen Kluftinger-Kult-Reihe – mit tollem Allgäuer Lokalkolorit, humorvollen Episoden, liebenswerten Charakteren und einem leider nur schwachen Kriminalfall.
Für langjährige Klufti-Fans und Liebhaber des Allgäus wieder ein kurzweiliges Hörvergnügen!

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Veröffentlicht am 15.12.2024

Fesselnde Ermittlungen im Schatten der Kirche

Roter Sommer
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MEINE MEINUNG
Der Debütroman "Roter Sommer" der spanischen Journalistin und Autorin Berna González Harbour ist ein fesselnder Kriminalroman, der einen spannenden fiktiver Kriminalfall gekonnt mit einem ...

MEINE MEINUNG
Der Debütroman "Roter Sommer" der spanischen Journalistin und Autorin Berna González Harbour ist ein fesselnder Kriminalroman, der einen spannenden fiktiver Kriminalfall gekonnt mit einem hochbrisanten und dunklen Kapitel der jüngeren Kirchengeschichte verknüpft.
In dem 2012 in Spanien erschienenen und erst 2024 auf Deutsch veröffentlichten Krimi thematisiert die Autorin den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche - ein erschütterndes Thema, das nach wie vor nichts an Aktualität eingebüßt hat und die Gesellschaft weiterhin bewegt.
Die Geschichte spielt in Spanien im Sommer 2010. Comisaria María Ruiz wird mit einem erschütternden Mordfall konfrontiert, als die Leiche eines jungen Mannes im Teich des Madrider Stadtparks entdeckt wird. Die Ermittlungen nehmen eine unerwartete Wendung, als sich Hinweise auf eine mögliche Verbindung zu einem weiteren vermissten Jugendlichen verdichten, denn beide Opfer waren Schüler derselben katholischen Bildungseinrichtung. María Ruiz und ihr Ermittler-Team stoßen auf eine erschütternde Spur, die sie in die dunklen Tiefen von Missbrauchsfällen und deren systematischer Vertuschung in der katholischen Kirche führt. Nach und nach verdichten sich die Hinweise auf ein weitreichendes Netzwerk des Schweigens und der Mittäterschaft, das die Ermittler auf der Suche nach dem Täter vor komplexe Herausforderungen stellt.
Die vielschichtige Erzählstruktur konfrontiert uns mit zahlreichen Puzzlestücken zu dem rätselhaften Fall sowie mit offenen Fragen, die zunächst schwer einzuordnen sind. Es offenbart sich ein komplexes Netzwerk von Geheimnissen, das die Ermittler zu entwirren versuchen. Die häufigen Perspektivwechsel zwischen den verschiedenen Handlungssträngen und Charakteren sowie die oft sehr kurzen Passagen sind zwar anfangs etwas verwirrend, erzeugen aber eine intensive Spannung und ein rasantes Tempo. Die anspruchsvolle Erzählweise und der prägnante Schreibstil fesseln von Beginn an und lassen uns in die vielschichtige Geschichte eintauchen.
Der Autorin gelingt es sehr eindrucksvoll, die aufgeheizte Atmosphäre des heißen spanischen Sommers, die Euphorie anlässlich der damaligen Fußballweltmeisterschaft in Südafrika, bei der die spanische Nationalmannschaft um den Titel kämpfte und die gleichzeitige Anspannung angesichts der aufkommenden Missbrauchsvorwürfe und den Vorbereitungen auf den bevorstehenden Papst-Besuch einzufangen.
Es wird deutlich dass, González Harbour sich intensiv mit der heiklen Thematik des Missbrauchs auseinandergesetzt hat und auf ihre umfangreichen journalistischen Recherchen zurückgreifen kann. Ihr gelingt es hervorragend, das Thema im Rahmen der Handlung aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, was eine differenzierte Auseinandersetzung ermöglicht. Durch den investigativen Journalisten Luna erleben wir hautnah die bedeutsame Rolle der Medien bei der Aufklärung mit, der trotz vieler Widerstände und Einschüchterungen versucht, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Aus der Ermittlerperspektive erhalten wir aufschlussreiche Einblicke in die vielfältigen Herausforderungen und emotionalen Belastungen durch die Konfrontation mit den entsetzlichen Verbrechen. Eindringlich schildert sie in Rückblenden auch die leidvollen Erlebnisse und das Schicksal der Opfer und macht sehr einfühlsam auf die erschütternden Auswirkungen des Missbrauchs aufmerksam. Darüber hinaus gewährt uns die Autorin aufschlussreiche Einblicke in die befremdliche Gedankenwelt des Täters und dessen tragischer Vorgeschichte, die uns in menschliche Abgründe blicken lässt. Nicht zuletzt zeigt sie uns auch sehr eindringlich die schockierende Perspektive der spanischen Kirche auf die Missbrauchsfälle auf, die diese als interne Angelegenheiten und nicht als Straftaten behandelt, systematisch an institutioneller Vertuschung mitwirkt und eine juristische Aufarbeitung mit aller Macht unterbindet.
Wir begegnen im Krimi einer Vielzahl interessanter Charaktere, die uns mit ihrer deren Gedanken- und Gefühlswelt weitgehend überzeugend nahegebracht werden. Allerdings hätte ich mir bei einigen Figuren eine etwas tiefgründigere Charakterentwicklung gewünscht. Besonders die differenzierte Darstellung der lebensnahen Hauptfigur Comisaria María Ruiz und die schrittweise Enthüllung ihres Privatlebens und ihrer Vorgeschichte sind gelungen und überzeugend.
Der Roman endet mit einer glaubwürdigen Auflösung des Falls und einem realistischen Ausklang, der zum Nachdenken über die aufgeworfenen moralischen und gesellschaftlichen Fragestellungen anregt.

FAZIT

Ein packender Kriminalroman, der nicht nur durch seine spannende Handlung überzeugt, sondern auch durch die tiefgründige Auseinandersetzung mit einem der drängendsten Themen der Gegenwart: dem sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche.

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Veröffentlicht am 15.12.2024

Eindrucksvoller Roman

Antichristie
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MEINE MEINUNG
Nach ihrem gefeierten Debütroman "Identitti" widmet sich Mithu Sanyal in "Antichristie" erneut hochaktuellen, brisanten Themen.
In diesem faszinierenden, vielschichtigen Roman beleuchtet ...

MEINE MEINUNG
Nach ihrem gefeierten Debütroman "Identitti" widmet sich Mithu Sanyal in "Antichristie" erneut hochaktuellen, brisanten Themen.
In diesem faszinierenden, vielschichtigen Roman beleuchtet Sanyal auf provokante, originelle und vor allem humorvolle Art den Kolonialismus, Identität und die Komplexität historischer Narrative.
Geschickt vermischt sie in ihrer fesselnden Geschichte Elemente des historischen Romans, Krimis und der Zeitreisefiktion.
Sanyal setzt sich facettenreich mit der kolonialen Vergangenheit und deren Auswirkungen auf die Gegenwart sowie Formen des Widerstands auseinander. Dabei schärft sie den Blick auf weniger beleuchtete Aspekte der indischen Unabhängigkeitsbewegung und hinterfragt nicht nur die Rolle von Gewalt gegen Unterdrückung und koloniale Strukturen, sondern auch die oft vereinfachte Darstellung historischer Figuren wie Gandhi und anderer einflussreicher, aber weniger bekannter Akteure.
Sie greift aktuelle gesellschaftliche Diskussionen auf und hinterfragt auf unbequeme Weise gängige Vorstellungen, ohne belehrend zu wirken. Kritisch beleuchtet Sanyal oberflächliche Betrachtungsweisen zur kolonialen Geschichte und zum Postkolonialismus, hält uns gleichzeitig einen Spiegel vor und regt zum Nachdenken an.
Gekonnt verwischt sie in ihrem Roman die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fiktion, aber auch persönlicher und kollektiver Geschichte.

Die Vielschichtigkeit der Erzählung und die Fülle an historischen und kulturellen Referenzen machen den Roman zu einem sehr anspruchsvollen, aber lohnenden Leseerlebnis. Nach einem durchaus herausfordernden Einstieg, der etwas Durchhaltevermögen erfordert, entwickelt die komplexe Geschichte zunehmend eine fesselnde Dynamik.
Die verschachtelten, genial miteinander verwobenen Zeitebenen schaffen eine komplexe Struktur, die der Autorin eine eingehende Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen politischen Themen und eine differenzierte Betrachtung von persönlicher und kollektiver Geschichte ermöglicht.
Angesiedelt ist die Geschichte im London des Jahres 2022, kurz nach dem Tod der Königin. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Protagonistin Durga, eine 50-jährige internationale Drehbuchautorin mit deutsch-indischen Wurzeln, die an einer woken Verfilmung der klassischen Agatha-Christie-Krimis mitwirken soll. Nach dem Tod ihrer Mutter findet sie sich plötzlich nicht nur im Jahr 1906 wieder sondern im Körper des jungen Inders Sanjeev. Auf ihrer unerwarteten Zeitreise trifft sie auf eine Gruppe indischer Revolutionäre, die im Gegensatz zu Gandhi nicht auf Gewaltlosigkeit setzen und sie mit zentralen Fragen des Widerstands gegen Unterdrückung konfrontiert.
Mit der Protagonistin Durga hat Sanyal eine faszinierende und sehr vielschichtige Figur geschaffen. Aufgrund ihrer deutsch-indischen Herkunft verkörpert sie selbst die Komplexität kultureller Zugehörigkeit. Ihre Reise durch die Zeit, ihr Genderwechsel sowie die Konfrontation mit verschiedenen Formen des Widerstands lassen sie eine interessante, tiefgreifende Charakterentwicklung durchlaufen.
Sanyals äußerst lebendiger Schreibstil ist sehr kreativ und unterhaltsam. Er ist durchsetzt mit Anglizismen und integriert geschickt verschiedene Textformen wie Dialoge, Tweets und Drehbuch-Auszüge. Hervorragend haben mir auch die zahlreichen Verweise auf Agatha Christie, Sherlock Holmes und Doctor Who gefallen.

FAZIT
Ein unglaublich komplexer und anspruchsvoller Roman über kulturelle Identität, die Komplexität historischer Narrative und die Auswirkungen des Kolonialismus auf die moderne Gesellschaft – unterhaltsam, lehrreich, gesellschaftskritisch und humorvoll! Ein beeindruckender Roman, der noch lange nachwirkt, zum Überdenken eigener Positionen anregt und zum erneuten Lesen anregt. Äußerst lesenswert!

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