Dresden 1948: Es ist Sommer und nachdem der 2. Weltkrieg 3 Jahre zurückliegt, befindet sich das Land im Wiederaufbau – allerdings ganz langsam, unter größten Anstrengungen und immer mit der Sowjetischen Besatzung im Nacken. Blindgänger erschüttern immer wieder die verängstigten Menschen und nach wie vor ist der Hunger ein ständiger Begleiter. Dann sind da noch die Berichte aus dem Westen Deutschlands, wo eine neue Währung – die Deutsche Mark - eingeführt wird und es den Menschen anscheinend wesentlich besser geht.
So kommt auch ein Paket von ihrem Sohn Erwin, der im Westen Jura studiert, bei Max und Karin Heller an – darin nicht nur Lebensmittel sondern auch ein Bündel Geldscheine. Für den Oberkommissar und seine kleine Familie samt der kleinen Anni und Frau Marquart, ist dieses Paket wie ein Schatz, denn es mangelt ihnen an allem Lebensnotwendigen. Und doch stellt sich Max die Frage, woher sein Sohn so viel Geld hat? Viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, hat Max nicht, denn er wird zu einem Toten auf einer Baustelle gerufen. Es handelt sich dabei um den Jugendlichen Albert Udmann, der abgestürzt zu sein scheint. Doch es finden sich Spuren von alten Verletzungen an dem Jungen, die nicht von einem Sturz herrühren. Ob sein Tod mit den Diebesbanden, die in Dresden ihr Unwesen treiben, zusammenhängt? Ging es um eine Mutprobe oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Gewohnt hartnäckig, mit viel Mitgefühl und Umsicht macht sich Max an die Ermittlungen. Doch bald schon befindet er sich mitten in einem Strudel aus Schweigen, Ablehnung, Angst, Überlebenskampf und Misshandlungen. Er stößt auf eine Mauer des Schweigens, wird von seinem Sohn Klaus in seinen Ermittlungen ausgebremst und kann seine persönliche Einstellung zum Kommunismus kaum verbergen. Karin und er werden mit ihrem eigenen Schicksal konfrontiert und es brechen alte Wunden auf.
„Vergessene Seelen“ von Frank Goldammer ist der dritte Teil um Max Heller, der in den Trümmern von Dresden seiner Arbeit als Oberkommissar gewissenhaft, mit viel Empathie und Durchhaltevermögen nachkommt. Das Hörbuch wird von Heikko Deutschmann gesprochen, was den starken Krimi mit vielen historischen Details zu einem ganz besonderen Genuss macht. Seine Stimme ist sehr angenehm und transportiert die Stimmung im Trümmerfeld von Dresden sehr anschaulich. Beim Hören fielen mir viele Feinheiten in der Gestaltung der Geschichte und der Charaktere auf, die mich bereits beim „Angstmann“ begeistert haben. Ich wurde mitgenommen in das gebeutelte Dresden mit seinen Bewohnern, die ihre Stadt wieder aufbauen und jeden Tag aufs Neue versuchen, zu überleben. Aber auch die Gewalt und der Egoismus vieler Menschen wurden lebendig und erschreckten mich, da die Realität sicherlich noch erschütternder war. Die Aufklärung der Todesumstände von Albert rückte zeitweise in den Hintergrund und machte Platz für den privaten Max Heller, der von seinem linientreuen Sohn Klaus mundtot gemacht werden soll. Es ist eine ständige Gratwanderung zwischen Politik und der Suche nach den Hintergründen, die zum Tod des Jungen führten. Sein familiäres Umfeld spielt dabei eine ebenso große Rolle wie auch die Not vieler Männer, die versehrt – nicht nur körperlich – aus dem Krieg zurückgekehrt sind und damit nicht umgehen können. Vergessene Seelen gibt es mehr wie genug in diesem tiefgründigen Kriminalroman und so schließt sich ganz wunderbar der Kreis zum Titel des Buches.
An Max Heller mag ich, dass er nicht nur das System der Nationalsozialisten in Frage stellt, sondern sich bei dem herrschenden Kommunismus ebenfalls unwohl fühlt. Sieht er doch ähnliche Tendenzen, die Menschen zu indoktrinieren. Max ist sehr geradlinig in seinem Wesen und seinem Handeln und er verfügt über Empathie für seine Mitmenschen. Umso schwieriger ist es für ihn, dass er von seinem eigenen Sohn bei seinen Ermittlungen ausgebremst werden soll. Klaus ist der Partei beigetreten und das sorgt für Zündstoff zwischen ihm und seinem Vater.
Frank Goldammer hat in seinem dritten Fall von Max Heller erneut einen absolut stimmigen, historisch fundierter und spannender Krimi geschaffen. Die Entbehrungen der Dresdner, die Hilflosigkeit der Kriegsheimkehrer und der Wiederaufbau ihrer zerstörten Stadt wurden genauso lebendig, wie auch die Gräueltaten zwischen den Trümmern. Nicht nur einmal ist mir ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter gelaufen – auch dank der Stimme des Sprechers – und ich befand mich mittendrin. Das Buch hat mich erschüttert, gefesselt und fasziniert! Ich freue mich schon auf den nächsten Teil, wobei mir noch der 2. Fall „Tausend Teufel“ fehlt, den ich unbedingt noch lesen muss.