Etwas zu glatte und unkritische Darstellung einer emanzipierten Frau
Der geschickt gewählte Buchtitel in Anlehnung an den berühmten Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ von Vicky Baum und die Art Deco Elemente auf dem Cover und zu den Kapitelanfängen fielen mir als erstes sehr ...
Der geschickt gewählte Buchtitel in Anlehnung an den berühmten Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ von Vicky Baum und die Art Deco Elemente auf dem Cover und zu den Kapitelanfängen fielen mir als erstes sehr positiv auf. Vicky Baum war mir schon seit mehr als 50 Jahren als eine Autorin bekannt, die ich damals sehr gerne gelesen hatte. Deshalb interessierte mich der Roman von Heidi Rehn sehr.
Das Buch gibt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem bewegten Leben von Vicky Baum wider. Zwar nennt die Autorin keine Jahreszahlen, aber es geht um die Zeit ungefähr zwischen 1926 und 1931, also eine relativ kurze Zeitspanne. Erzählt wird, wie Vicky Baum getrennt von Mann und Kindern nach Berlin zieht, um im Ullstein-Verlagshaus Schritt für Schritt Karriere zu machen. Sie behauptet sich in einer von Männern dominierten Branche und lebt ein selbstbestimmtes, emanzipiertes Leben. Wir verfolgen, wie sie nach und nach die Achtung aller erringt und ihre Romane ihr schließlich zum Ruhm als eine der bekanntesten Unterhaltungsschriftstellerinnen ihrer Zeit verhalfen.
Vielleicht hätte ich das aufschlussreiche Nachwort von Heidi Rehn zuerst lesen sollen. Denn hier findet all das Erwähnung, was ich im Roman vermisste.
Der Schreibstil, der etwas umständlich, manchmal fast antiquiert wirkt, passt perfekt zum historischen Rahmen, der sich genau zwischen konservativem, altertümlichem Denken und fortgeschrittener moderner Aufgeschlossenheit bewegt. Mir fehlt es mitunter an detailgenaueren, nachvollziehbareren Schilderungen. So wird zum Beispiel von einem halbstündigen Einkauf im KaDeWe erzählt, der angeblich aus Vicky eine selbstbewusste Frau machte. Womit? Das verrät uns die Autorin leider nicht. Solche „Blanko“-Stellen gib es leider mehrfach im Buch. Vicky wird als Person insgesamt sehr lebendig dargestellt. Sie ist arbeitswütig und unermüdlich in ihrem Bestreben, die Achtung ihres Umfeldes zu erringen. Ich empfand die Darstellung der Person Vicky Baum allerdings als zu glatt, zu perfekt, zu fleißig, ohne Fehl und Tadel, ohne Marotten, ohne Alkohol. Einzige Schwachstelle vielleicht ihr Hingezogensein zu Bengt. Es gibt im Roman keine wirklich bewegenden Szenen von Sehnsucht nach Mann und Kindern, von selbstkritischem Reflektieren, von depressiven Phasen. Ebenso glatt werden die allzu bewundernden Kolleginnen geschildert. Immer sind ihr alle wohlgesonnen, kein Neid, keine Intrigen. Diese unrealistische heile Welt-Schilderung mit den ewigen Lobhudeleien für Vicky nerven irgendwann. Die politische Brisanz dieser Zeit wird weitgehend, bis auf wenige kurze Szenen, völlig ausgespart. Dafür werden die Leser mehrfach darüber informiert, was es im Ullstein-Kasino zum Mittagessen gibt. Wo bleibt da eine gewisse kritische Distanz?
Fazit: Unterhaltsam zu lesen, aber leider insgesamt zu flach.