Absolut lesenswer
„...Warum könnt ihr alle nicht endlich begreifen, dass für eine Nazi Jude sein nur eines bedeutet: semitisches Blut zu haben! Es hat nichts mit irgendeiner Religion zu tun...“
Diese Worte fallen bei einem ...
„...Warum könnt ihr alle nicht endlich begreifen, dass für eine Nazi Jude sein nur eines bedeutet: semitisches Blut zu haben! Es hat nichts mit irgendeiner Religion zu tun...“
Diese Worte fallen bei einem Familientreffen. Ein großer Teil der Verwandtschaft ist seit mindestens einer Generation zum Christentum konvertiert. Obige Worte sagt Günther, der als Kampfpilot bei der Luftwaffe arbeitet, zu seiner Tante. Er hat mit Nazigrößen zu tun und weiß, wovon er redet.
Der Autor erzählt aus seinem Leben. Die Geschichte ist sehr lebendig geschrieben und verfügt über einen feinen Humor. Der Schriftstil passt sich gekonnt den Gegebenheiten an und bringt so den Widerspruch zwischen den Ängsten der Mutter und dem Überschwang der Jugend zum Ausdruck.
Als besonderes Stilmittel gibt es deshalb ab und an Tagebuchaufzeichnungen der Mutter.
Horst ist Halbjude und lebt mit seiner Familie in Breslau. Im Jahre 1936 verstirbt sein Vater. Die jüdische Mutter kann sich nicht zur Ausreise entschließen. Horst ist sechs Jahre, als ihn die Mutter über seine Herkunft informiert. Sie ermahnt ihn, nie darüber zu sprechen. Er soll sich schlau verhalten wie Reineke Fuchs.
„...Es war schön und lobenswert, klug und vorsichtig wie er zu sein, aber wenn ich mich richtig erinnerte, ging er auch Risiken ein, als seine Familie von Hunger bedroht war...“
Schnell lernt Horst, wie er das karge Lebensmittelangebot aufbessern kann. Seinem Aussehen nach hält man Horst für einen Arier. Seine Freunde halten zu ihm
Schon in jungen Jahren interessiert sich Horst für Kochen und Backen. Deshalb sind auch einige Rezepte geschickt in den Text eingearbeitet. Eine Liste dazu gibt es am Beginn des Buches. Durch Meta wird er ein Experte in der Bestimmung essbarer Pilze. Gleichzeitig habe ich als Leser auch eine Menge darüber gelernt.
Nach dem Krieg freundet sich Horst mit einem russischem Major an. Der bringt ihm bei, wie man mit Handgranaten fischt. Bald versuchen es die Kids allein.
„...Dutzende Fische schwammen oben und wir bildeten eine Staffel, um sie herauszubekommen. Jede vorstellbare Fischart war dabei...“
Dann aber sind Horst und seine Familie gezwungen, Breslau zu verlassen. Sie haben auf dem Schwarzmarkt die falschen Leute auf sich aufmerksam gemacht. Wieder ist es der russische Major, der sie zu Verwandten nach Bayern bringt. Der Mann bleibt mir bis zum Ende des Buches ein Rätsel. Er scheint weit mehr als nur ein Major zu sein.
Von den Einheimischen werden sie allerdings nicht besonders willkommen geheißen. Man will weder Flüchtlinge noch Protestanten. Da sich aber Horst vor keiner Arbeit scheut, hilft er auf einem Bauernhof beim Schlachten. Das bringt der Großfamilie wichtige Nahrungsmittel. Beim Fest danach lernt er von der Bäuerin, dass er vorsichtig sein muss.
„...Bayern sind praktisch immun, was die Wirkung von Bier anbelangt. Es wird nicht als alkoholisches Getränk, sondern als wichtiger Ernährungsbestandteil betrachtet...“
Obwohl die Familie nie über ihren Hintergrund gesprochen hat, ist er vielen bekannt. Das bekommt Horst in der Schule zu spüren. Mancher Lehrer stammt noch aus der alten Garde. Horst allerdings sagt zu seiner Mutter:
„...Mama! Werde bloß nicht wieder schüchtern und ängstlich. Hitler ist tot, die Nazis sind weg, in ein paar Jahren wird niemand mehr wissen, was Antisemitismus war...“
Es sollte nicht lange dauern, bis Horst begreift, dass er damit völlig falsch liegt. Die Ewiggestrigen scharren schon wieder mit den Hufen. Letztendlich beugt er sich dem Willen der Mutter. Sie reisen zu Verwandten nach Amerika.
Viele Fotos illustrieren das Buch und lassen die Geschichte zusätzlich lebendig werden.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Horst ist ein Überlebenskünstler. Es gibt viele Situationen, die er gemeistert hat, obwohl sie den Keim des Scheiterns eigentlich in sich trugen. Trotzdem hat er sich nie in den Vordergrund gespielt. Er hat geteilt, was er erlangen konnte und hatte die Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen.