Ungleiches Ermittler-Paar
"Irgendwann werden sie Kollegen sein. Sie ist hautnah dabei.“ S. 10. Kyra Slagter ist 19, im Abiturjahr, liest forensische und andere Fachliteratur, um ihrem Traumjob bei der Kriminalpolizei näher zu kommen. ...
"Irgendwann werden sie Kollegen sein. Sie ist hautnah dabei.“ S. 10. Kyra Slagter ist 19, im Abiturjahr, liest forensische und andere Fachliteratur, um ihrem Traumjob bei der Kriminalpolizei näher zu kommen. Während der ältere Bruder Jarno sie dabei unterstützt, sind die Eltern mehr mit sich selbst beschäftigt, Gründe gibt es durchaus. Maud Mertens arbeitet bei der Kriminalpolizei – die beiden ungleichen Protagonistinnen begegnen einander bei einer Leiche, die an einen Laternenmast am früheren Galgenfeld (sic!) geknüpft wurde. Der Tote war zufällig Lehrer an Kyras Schule. Die Schülerin beginnt mit ihren Ermittlungen parallel zur Polizei. Doch die Informationen, die sie über den an der Schule beliebten Lehrer hat, bringen Kyra nicht nur Probleme mit ihren Freundinnen ein.
DAS wäre genau das Buch gewesen, das ich liebend gerne als Teenager gelesen hätte, irgendwie die erwachsenere, realistische Version nach meinen Kindheits-Enid-Blyton-Abenteuern, über Agatha Christie hinaus, nahe an meinem „damaligen Ich“. Kyra wirkt auf mich durch und durch glaubwürdig – wäre mir damals die Literatur zugänglich gewesen, wären die Internet-Recherchen möglich gewesen – ich hätte die gleichen Texte wie sie gelesen. Heute kann ich natürlich auch Maud verstehen, die bei ihrer Teenager-Tochter Roos das Gefühl beschleicht, wohl phasenweise auf verschiedenen Planeten zu leben…Die Figurenzeichnung im Buch gefällt mir also richtig gut, und man kann quasi mit ermitteln. Das Ermittler-„Duo“ ist eine richtig gute Idee.
Dazu kommt, dass es mindestens eine Geschichte neben und hinter der aktuellen gibt: Sarina, Kyras ältere Schwester, ist vor vier Jahren spurlos verschwunden. Und irgendwie sehe ich kommendes Unheil bei Roos und bei Kyras Schulleiter, aber es gibt ja noch bislang zwei weitere Bände – wobei die niederländische Autorin Isa Maron mit diesem ersten Band in der Reihe der „Nordsee-Morde“ es beherrscht, einen Fall wirklich abzuschließen und DENNOCH Fragen offen zu lassen, ohne diese fiesen Cliffhanger zu nutzen, bei denen man eigentlich alle Bücher lesen MUSS. „Dunkle Flut“ erschien in deutscher Sprache im März 2016, auf Niederländisch als „Galgenveld“ 2014 – soviel kann selbst ich von der Sprache erraten, der Originaltitel passt wesentlich besser (warum nur, liebe Verlage???).
Manko? Ein winziges: Es gibt so einen, ich nenne es einmal „modernen Zug“ bei Krimis und Thrillern: in den älteren Werk hieß es „das Opfer wurde vom Täter gefoltert und mit Messerstichen verletzt“. Heute wird gerne die Tat selbst aus der Sicht des Täter oder des Opfers beschrieben, währenddessen, dabei, direkt. Das ist sicherlich realistischer – aber auch irgendwie ekliger. Jetzt ist Maron nicht Cody McFadyen, aber es gibt einige etwas unappetitlichere Details – weniger jedoch auf sexueller Ebene, für hierbei empfindlichere Leser.