Band 1 und 2 sind mir 5 Sterne wert, die gesamte 7-teilige Saga 4 Sterne.
Hinweis: Ich habe die Clifton-Saga ab Band 3 im Englischen gelesen, wo bereits alle Bände erschienen sind. Neben dem Argument, dass das Original regelmäßig am besten ist, hier zwei weitere Vorteile: 1. Keine mehrmonatige Wartezeit auf den nächsten Band, insbesondere unter Berücksichtigung fieser Cliffhanger am Ende eines jeden Bandes und fehlender Inhaltszusammenfassungen. 2. Deutlich günstiger, Band 1 bis 7 für derzeit insgesamt 27,13 €.
Alle 7 Bände der historischen Familiensaga sind gut geschrieben, spannend und bieten gute Unterhaltung.
Es werden Einblicke in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ab Ende der 1920er-Jahre gewährt, bisweilen etwas konstruiert zur Einordnung in die Familiengeschichte. Politisch steht Großbritannien im Vordergrund, es gibt aber auch Exkurse in deutsche, russische und US-amerikanische Geschichte, wobei sich Präferenzen herauskristallisieren (z. B. wenig schmeichelhafte Darstellung der Russen).
Im Mittelpunkt stehen aber tatsächlich eher familiäre Verwicklungen als geschichtliche Genauigkeit.
In Band 1 und 2 werden mit Maisie und Harry sympathische, tiefgründige Hauptfiguren etabliert, die mich mitfühlen ließen.
Aus meiner Sicht lässt die emotionale Tiefe in den Folgebänden nach, was sich dadurch äußert, dass viele neue Figuren Stereotype bedienen und zu wenig charakterisiert werden und bereits vorhandene Figuren langfristig zu wenig Ecken und Kanten haben. Familiär bedeutende Ereignisse (auch Geburten und Todesfälle) werden zu wenig aufgearbeitet, müssen wirtschaftlichen Themen und Krimielementen weichen. Ich hätte mir gewünscht, dass z. B. Vorstandssitzungen und das Innenleben der "Bösewichte" kürzer gefasst worden wären, zugunsten von mehr emotionalem Tiefgang bei Familienmitgliedern. Die zunehmende Einteilung in Schwarz und Weiß fand ich schade: Auf der einen Seite die megaerfolgreichen, herzensguten, moralisch unfehlbaren Helden. Auf der anderen Seite die zumeist gleichen Gegner, die - von wenig substantiierten Rachegefühlen, Macht- oder Geldgier getrieben - fiese Intrigen aushecken oder immer wieder ähnliche Machtspiele provozieren (viele Thrillerelemente in Band 3 bis 6). Hierdurch ist Identifikationspotenzial verloren gegangen.
Ich hätte es als reizvoll empfunden, wenn der Zeitgeist in den unterschiedlichen Epochen intensiver eingefangen worden wäre: Alltag und Sorgen der sog. unteren Mittelschicht und Unterschicht, gesellschaftliche Problemstellungen kommen insbesondere ab Band 3 zu kurz. Politisch wird vorrangig auf das unmittelbare Umfeld der fiktiven Figuren abgestellt, hier hätte ich das Aufzeigen größerer Zusammenhänge und mehr geschichtliche Genauigkeit begrüßt.
Trotz meiner Kritikpunkte bleibt es unbestritten, dass Jeffrey Archer einen guten Erzählstil hat. Gestaltet sich die eine Handlungslinie nicht so faszinierend, geht es mit einem anderen Protagonisten im nächsten Abschnitt spannungsgeladen weiter (Vorlieben werden sich je nach persönlichen Neigungen unterscheiden).
Im Ergebnis habe ich bis zum Ende interessiert gelesen, bin auch dankbar für vielfältige Einblicke in eine Zeit vor meiner Geburt, war zum Ende hin aber nicht mehr so gefesselt und fasziniert wie zu Beginn. Der Erkenntnisgewinn zur Gesellschaft und zur für mich interessanten Politik blieb überschaubar. Wer eine Saga sucht, die den Fokus darauf legt, Gesellschaft und Politik sowie Personen und Nationen ausführlich, ausgewogen und realitätsnah zu beleuchten, ist hier nicht optimal bedient. Wer dies sucht, sollte besser die Jahrhundert-Saga von Ken Follett lesen.