Ein echter Pageturner
London 1920: Die verdiente Krankenschwester Florence Nightingale Shore wird während einer Zugfahrt ermordet und niemand bekommt etwas mit.
Zum Tatort werden u.a. die Bahnpolizisten Guy Sullivan und Harry ...
London 1920: Die verdiente Krankenschwester Florence Nightingale Shore wird während einer Zugfahrt ermordet und niemand bekommt etwas mit.
Zum Tatort werden u.a. die Bahnpolizisten Guy Sullivan und Harry Conlon gerufen. Während Guy von der Aufnahme in die „richtige“ Polizei träumt, will Harry als Saxofonist groß rauskommen.
Im gleichen Zug ist auch die 18jährige Louisa Cannon mit ihrem Onkel Stephen unterwegs. Seit dem Tod ihres Vaters kommen Louisa und ihre Mutter kaum ihre Runden. Stephen hat sich bei ihnen eingenistet, nimmt ihnen regelmäßig ihren kargen Lohn ab und zwingt Louisa zum Stehlen. Dabei träumt sie von einem besseren Leben, zum Beispiel von der Stelle als Kindermädchen auf Mitford Manor, für die sie sich beworben hat. Sie hat Glück und bekommt sie.
Die älteste Tochter der Mitfords, Nancy, denkt sich gern (Grusel-)Geschichten aus und unterhält (erschrickt) ihre jüngeren Geschwister. Dass die Familie mit der toten Krankenschwester befreundet war, beflügelt ihre Fantasie. Sie will unbedingt herausfinden, wer Florence ermordet hat. Dabei soll ihr Louisa helfen. Wie gut, dass diese kurz zuvor Guy kennengelernt hat ...
Jessica Fellows schreibt sehr bildlich und lebendig. Man sieht die dreckigen Gegenden Londons, die düsteren Bahnhöfe aber auch das Anwesen der Mitfords oder die noblen Ferienorte an der Küste vor sich. Sie hat die Gegensätze zwischen arm und reich, den Daheimgebliebenen und Kriegsheimkehrern sehr gut herausgearbeitet. Besonders gefallen hat mir ihre Darstellung des quirligen Hauswesens bei den Mitfords. Neben den Erwachsenen und 6 Kindern aller Altersstufen gibt es auch unzählige Bedienstete, die alles am Laufen halten. Da sind Spannungen natürlich vorprogrammiert, trotzdem halten sie im Ernstfall zusammen.
Nancy ist nur 2 Jahre jünger als Louisa und will sie unbedingt als Freundin / Vertraute und nicht nur als Kindermädchen. Dabei könnten die Unterschiede zwischen ihnen kaum größer sein. „Ein bisschen kam es ihr so vor, als würden sie die Hände nacheinander ausstrecken, ohne sich ganz berühren zu können ...“ (S. 131). Nancy ist sehr vorlaut, hat einen scharfen Verstand und eine gute Beobachtungsgabe, ist mit ihren 16 Jahren aber auch zum ersten Mal verliebt und dadurch „hormongesteuert“.
Louisa hingegen hat die Angst vor ihrem Onkel fest im Griff. Außerdem will sie nichts machen, was ihre Stellung – in der sie sich endlich etwas sicherer fühlt – gefährden könnte. Doch letztendlich wird sie von ihrer eigenen Courage überrascht.
Mein heimlicher Star des Buches war Guy. Er ist sehr hartnäckig und hat echtes Durchsetzungsvermögen. Obwohl er bald von dem Fall abgezogen wird, ermittelt er auf eigene Faust weiter. Er will ihn unbedingt aufklären und danach am liebsten zum Geheimdienst – dann würde er nämlich genug verdienen, um eine Familie zu gründen.
Der Fall ist sehr komplex und verschachtelt. Er führt zurück bis in den ersten Weltkrieg und auf den Kontinent. Es tauchen immer wieder neue Verdächtige, Motive und Alibis auf. Ich war bis zuletzt gefesselt und hatte den Falschen in Verdacht.
Für mich hat „Die Schwestern von Mitford Manor – Unter Verdacht“ alles, was ein Pageturner braucht: Mord, Krieg, Verwicklungen, Freundschaft und Liebe. Ich bin schon sehr gespannt, was die anderen Mitford-Schwestern in den noch kommenden Bänden erleben werden.
Übrigens ist der Mord wirklich passiert, er wurde leider nie aufgeklärt. Und Nancy Mitford hat, genau wie im Buch, später Romane geschrieben.