A girl namend Johnny
“A Girl namend Johnny.”
Joana Wolkenzin wächst in Vorpommern auf und ist anders, das fühlt und spürt sie. Ihre Interesse sind different zu denen der Gleichaltrigen, sie liest wahnsinnig viel und versinkt ...
“A Girl namend Johnny.”
Joana Wolkenzin wächst in Vorpommern auf und ist anders, das fühlt und spürt sie. Ihre Interesse sind different zu denen der Gleichaltrigen, sie liest wahnsinnig viel und versinkt in Büchern, sie lernt Liedtext auswenig, ist sehr sparsam und gerne mit sich alleine. Ganz klar ist schon früh, dass sie kein Mädchen sein möchte und nennt sich selber einfach um, in Johnny, wie der Westernheld in einem Film, den sie zuhause sieht. Ihre Klassenkameradinnen nennen sie Johnny-Mädchen, aber das ist ihr völlig schnuppe, sie steht dazu. Als sie älter wird verliebt sie sich in Mädchen und Jungen, hinterfragt ihre Sexualität, ist Frau und Mann zugleich. Johnny ist einsam begibt sich auf Reisen nach Finnland und Australien, führt komplizierte Beziehungen und sucht sich und ihr Glück in einer Welt, die aus Kategorisierung und Schubladendenken besteht.
“Das erwünschte Glück ist überschaubar und endlich, das unerwünschte Unglück hingegen unermesslich; man weiß ungefähr und manchmal genau, was man ersehnt, aber nicht, was man alles auf keinen Fall verwirklicht haben möchte.”
“Johnny Ohneland” habe ich in der Herbstvorschau des Verlages gesehen und wusste “ich will”, es war ein Gefühl und ich wurde völlig überrascht. Johnny ist mit sich selber im Gespräch auf der Metaebene, reflektiert und spricht zu sich selber als würde sie sich im Spiegel gegenüberstehen. So reist man mit Johnny durch viele Zeiten ihres Lebens. Die Sprache der Autorin ist auf hohem Niveau und der gesamte Roman hat eine besondere Melodik, einen ganz eigenen Rhythmus. Lieder, Songtexte und -auszüge, Zitate aus Gedichten ziehen sich durch die Seiten, passend und perfekt eingesetzt, poetisch und harmonisch.
“Und was konnte man tun? Fliehen,wohin? Es gibt nur ein Land und seine Einwohner heißen Menschen.”
Zentral ist Johnny's Suche nach sich selber, nach Halt, Glück, Beständigkeit und Sicherheit. Konflikte, abgesehen von dem mit sich selber, gibt es auch innerfamiliär so erfahren Leserinnen, dass der Vater nicht mit Empathie gesegnet, die Mutter nicht sonderlich warm ist und sie die Familie eines Tages still verlässt, Johnny und ihr Bruder sind mit dem Vater auf sich gestellt und das Leben würfelt neu. Zwischenmenschlich gerät Johnny immer wieder an Grenzen, Freundschaften oder ein soziales Netz sind nicht ihr Ding, weder der Aufbau, noch die Pflege. Im Sportunterricht ist sie eine der letzten, die aufgerufen wird in eine Gruppe, sie wird eingeladen zu Geburtstagen, Geheimnisse werden ihr auch anvertraut, aber dennoch ist es so, als wären die anderen der Meinung Johnny gehöre dazu, als wollten sie nicht wahrhaben, dass es nicht so ist. Das Dazugehören in gesellschaftliche Gefüge wird von Johnny als Erwartung empfunden, sie selber sieht sich nicht als den typischen Außenseiter, mehr als eine stille Randfigur.
“Eine Verliebtheit hatte mehr einer Schussverletzung zu gleichen, mich hat’s erwischt, einer Krankheit, gegen die man nichts auszurichten vermochte und deren Erreger zugleich die einzige bekannte Linderung darstellte. Dafür aber hieß es, den freien Willen restlos abzutreten, was als nicht so schlimm galt, da man es kaum merken würde. Dafür aber würde man die nicht in Worte zu fassende Glückseligkeit erlangen, man würde sprachlos sein.”
Johnny und die Liebe ist keine einfache Kombination, denn sie stürzt sich in destruktive Beziehungen, verliebt sich in Mann und Frau, weiß selber nicht ob sie Fisch oder Fleisch ist, ob das dazwischen denn genügt, ob es eine klare sexuelle Zuordnung braucht. In der Beziehung mit einem Mann, der klar auf Männer steht wird dieses Problem sehr deutlich, denn Johnny wird verlassen, weil der andere nicht weiter so tun kann, als sei Johnny ein Mann. Entscheidungsfreude ist keine Eigenschaft von Johnny, Entscheidungen sind immer auch innere Kampf bei ihr, sie empfindet diese eher als Verstopfung, denn aus allem wird zunächst eine Frage des Prinzips. Nachdem sie eine Entscheidung getroffen hat wird sie jedoch nie wieder in Frage gestellt. Diese schweren Geburten sind eigene Stolpersteine auf ihrem Weg.
“Zu viele Gedanken und Gefühle, oder wie mochte man bloß das Dazwischen, den Mischmasch daraus nennen, rieselten dir durch den Kopf, ein Gedankengestöber, Schneeersatz, ebenso still, aber nicht halb so schön.”
Es ist ein persönliches Highlight für 2020. Dieser Roman sprengt Grenzen, hat mich tief berührt, ist vielschichtig, intensiv, verworren, ernst, sehr anspruchsvoll und tiefgründig. Die sprachliche Gestaltung ist eine Wucht und großartig. Ein Hoch auf Johnny Ohneland und Judith Zander.