Lesenswerte und erschütternde Kurzgeschichten
Inhalt:
"Mann im Mond" das sind zwölf Kurzgeschichten aus der Welt von Kindern, die nicht immer verstehen, was um sie herum und mit ihnen geschieht, die in schwierigen Situationen hilflos, stark, klug, ...
Inhalt:
"Mann im Mond" das sind zwölf Kurzgeschichten aus der Welt von Kindern, die nicht immer verstehen, was um sie herum und mit ihnen geschieht, die in schwierigen Situationen hilflos, stark, klug, mutig, resolut und/oder wütend handeln und aufgrund von abwesenden oder überforderten Erwachsenen entscheiden (müssen), zwölf Geschichten mit düsterer Grundstimmung, mit verstörenden und zum Nachdenken anregenden Szenen, poetisch, skurril, unterhaltsam und brutal direkt erzählt.
Meine Meinung:
Lana Bastašićs Roman "Fang den Hasen" hat mich vor zwei Jahren begeistert und so war es natürlich klar, dass ich auch weitere Bücher der Autorin lesen möchte. Dass es sich bei "Mann im Mond" um den 2020 unter dem Titel "Mliječni zubi" (Milchzähne) veröffentlichten Erzählband handelte, habe ich aufgrund des anderen Titels zuerst gar nicht realisiert und verstehe immer noch nicht wirklich, weshalb der Originaltitel nicht einfach ins Deutsche übertragen worden ist. Klar, "Mann im Mond" ist auch der Titel einer der zwölf Erzählungen, aber ganz ehrlich: "Milchzähne" hätte als Titel sehr viel besser zum Buch gepasst. In den Kurzgeschichten geht es immer darum, sich zu behaupten, erwachsen zu werden oder schlicht zu überleben. Die Kindheit und negative Erfahrungen werden überwunden, durchlitten oder abgestossen, wie abgetragene Kleidung (oder halt eben, wie Milchzähne).
Die Geschichten und die sehr beklemmende Grundstimmung haben mir sehr gut gefallen und mir einige Male eine Gänsehaut beschert und mich zum Nachdenken angeregt. Da ich eine bosnische Ausgabe des Buches besitze, habe ich ab und zu im Original gestöbert, was auch sehr spannend war und dabei ist mir trotz mangelhaften Bosnischkenntnissen aufgefallen, wie grandios Rebekka Zeinzinger Worte für die poetischen, skurrilen Bilder und Formulierungen gefunden hat, um sie dem deutschsprachigen Publikum so authentisch wie möglich aufzubereiten.
Schreibstil und Stimmung:
Die jungen Protagonist*innen der Erzählungen sind oft auf sich alleine gestellt, sind von ihren Eltern oder anderen eigentlich für sie verantwortlichen Erwachsenen verlassen oder blossgestellt worden und müssen in teilweise extremen Situationen der Gewalt, Vernachlässigung oder Scham für sich einstehen. Es geht um einige ziemlich aussergewöhnliche aber auch um mitten aus dem Leben gegriffene Situationen. Eine Situation beginnt oft harmlos und kippt dann ins Bedrohliche um, plötzlich geht es um Entscheidungen über Leben und Tod, um Entscheidungen für den eigenen Körper und gegen das Leben oder Wohlergehen einer übergriffigen Person. Fast skizzenhaft werden die entsprechenden Szenen und das beinhaltete Dilemma geschildert und nachdem die Szene mir rasant aufeinanderfolgenden Sätzen und Steigerungen zum Höhepunkt getrieben worden ist, bleiben eine Anspannung, ein offenes Ende und manchmal eine Leiche zurück.
Immer mal wieder kommt dabei auch ein zynischer Humor zum Vorschein, der für viele weitere Zwischentöne sorgt.
Meine Empfehlung:
"Mann im Mond" wirkt manchmal mitten aus dem Leben gegriffen und manchmal wie eine Traumerzählung. Genau diese schmale Gratwanderung zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Humor und Absurdität, zwischen Dunkelheit und Lichtblick macht diese zwölf Geschichten zu einem fesselnden, bewegenden und manchmal verstörenden Leseerlebnis, das nachhallt. Von mir gibt es eine herzliche Leseempfehlung für alle, welche bereit sind, sich auf diese intensiven Texte einzulassen.