Erschreckend ehrlich
Lina Gustafsson ist Tierärztin. Um die Bedingungen für Schlachttiere zu verbessern, nimmt sie für einige Monate einen Job auf einem schwedischen Schlachthof an. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, die neu ...
Lina Gustafsson ist Tierärztin. Um die Bedingungen für Schlachttiere zu verbessern, nimmt sie für einige Monate einen Job auf einem schwedischen Schlachthof an. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, die neu ankommenden Tiere zu begutachten und darauf zu achten, ob einzelne Tiere Verletzungen haben, sodass sie bei der Schlachtung vorgezogen werden können. Außerdem überprüft sie mit anderen Tierärzten gemeinsam den Umgang des Stallpersonals mit den Schweinen und nimmt an Kontrollen zur Lebensmittelsicherheit teil.
Dass ihre Arbeit nichts für schwache Mägen ist, ist wohl jedem klar - in ihren ersten Tagen wird Lina herumgeführt, sieht die verschiedenen Stationen, die die Schweine durchlaufen: von der Ankunft über das Treiben und Vergasen bis hin zum Entbluten und Ausweiden wird alles recht detailliert beschrieben. Immer wieder fallen Lina dabei Misstände und Tierquälereien auf. Schon beim Ausladen aus den Transportern werden die Tiere, die nach der oft stundenlangen Fahrt entkräftet und gestresst sind, mit Plastikpaddeln geschlagen, damit sie sich möglichst schnell in die Buchten treiben lassen, wo sie auf ihre Tötung warten. Viele lahmen oder haben Bisswunden. In den Buchten angekommen gibt es kaum Futter, und diejenigen, die über Nacht dortbleiben, stehen auf einer winzigen Fläche mit vielen anderen zusammen oft zentimetertief im Wasser. Beim Gang in die Gaskammer, in der sie unter Schmerzen mit Kohlendioxid getötet werden, kommen wieder die Plastikpaddel zum Einsatz.
Obwohl Lina diese Punkte immer wieder anspricht, reagieren viele Mitarbeiter nur gereizt und genervt, und ändern tut sich kaum etwas. Die Aussichtslosigkeit dieser Situation und Linas schwindende Hoffnung werden ebenso greifbar wie das Leid der Tiere. Der erschreckende Teil des Buches ist nichteinmal der, in dem die Körper der Schlachttiere aufgeschnitten und die Organe entnommen werden (Achtung, auch das wird mehrmals ausführlich beschrieben), sondern alles, was davor geschieht. Und dennoch entspricht der Umgang mit den Tieren ganz offiziell den Richtlinien, sodass Lina zwar Berichte über das ruppige Verhalten der Mitarbeiter an die Aufsichtsbehörden schicken und diese auch selbst immer wieder um einen sanfteren Umgang mit den ohnehin verängstigten Tieren bitten kann, das aber dann auch schon alles ist.
Linas anfängliche Empörung weicht bald dem Verdruss des Alltags - obwohl jeder Tag ein wenig anders abläuft und immer mal wieder etwas Unvorhergesehenes geschieht, sind sie am Ende doch alle gleich. Jeden Tag werden etwa 3.100 Schweine alleine auf diesem einen Hof geschlachtet, jeden Tag kommen dort völlig gestresste, verängstigte Tiere an, jeden Tag werden sie in ihrer Panik noch weiter mit den Plastikpaddeln getrieben. Und alles, was Lina tun kann, ist diejenigen zur Schlachtung vorziehen zu lassen, die offensichtlich große Schmerzen haben.
Die Sprache, in der Lina ihren Arbeitsalltag auf dem Hof schildert, ist nüchtern und sachlich, und lässt die Bilder für sich sprechen. Die einzelnen Kapitel sind kurz, denn jedes entspricht einer Art Tagebucheintrag. Das Buch ist nicht fiktiv, Lina Gustafsson hat, wie sie am Ende des Buches wiederholt betont, alles Beschriebene tatsächlich beobachtet und erlebt. Schlachtungen sind ein Thema, das die meisten Menschen lieber vermeiden, einfach weil sich niemand besonders gerne Gedanken darüber macht - und nicht ohne Grund ist es uns unangenehm, wie dieses Buch zeigt. Im Detail von den schlechten Bedingungen zu lesen, in denen die Tiere die letzten Stunden vor ihrem Tod verbringen, ist erschreckend. Noch erschreckender ist es jedoch, dass dies alles vom Gesetz als vollkommen in Ordnung eingestuft wird.
"Die Schlachthaus-Tagebücher" ist in seiner Ehrlichkeit und Ungeschöntheit nicht einfach zu lesen, und ich habe das Buch währenddessen immer wieder für eine Weile beiseite legen müssen. Dennoch bin ich am Ende sehr froh um den tiefen Einblick, den es dem Leser eröffnet.