Solide Geschichte mit stellenweisen Schwächen im Aufbau!
Erster Satz: "Die falsche Blonde mit den aufgespritzten Lippen und den riesigen Silikontitten (mindestens D) funkelt mich an."
Wer meine Rezension zum ersten Teil gelesen hat weiß: Lisa Desrochers und ...
Erster Satz: "Die falsche Blonde mit den aufgespritzten Lippen und den riesigen Silikontitten (mindestens D) funkelt mich an."
Wer meine Rezension zum ersten Teil gelesen hat weiß: Lisa Desrochers und ich hatten GAR keinen guten Start. Auch der erste Satz des zweiten Teils versprach da nicht unbedingt Besserung, nun bin ich umso überraschter, dass mich "A little too much" tatsächlich mitreißend und überzeugen konnte. Nach "A little too far" weitergelesen habe ich eigentlich nur aus zwei Gründen. Erstens war der Sammelband ein Rezensionsexemplar und ich wollte es deshalb beenden. Und zweitens, weil ich Alessandro im ersten Teil sehr liebgewonnen habe und gespannt war, wie es für ihn ausgeht. Nach "A little too much" kann ich nun kaum glauben, dass dieselbe Autorin beide Bücher geschrieben hat. Dieser zweite Teil erreicht nämlich tatsächlich so etwas wie Tiefe, kann mit unerwarteten Wendungen, Emotionen und Konflikten überzeugen - alles, was bei Band 1 nicht mal ansatzweise vorhanden war. Schon der Beginn, bei dem wir Hilary während eines Vorsprechens für eine Rolle in einem Broadway Stück kennenlernen und danach zusammen mit ihr mit einem Relikt aus ihrer Vergangenheit konfrontiert werden - Alessandro, ihre erste Liebe und Grund für eine Menge Schmerz -, wirft eine Menge offene Fragen auf und sorgt dafür, dass man unbedingt wissen will, was damals passiert ist.
"Wer keine Schwäche zeigt, ist auch nicht schwach - Überlebensregel Nummer eins. So gesehen bin ich die stärkste Sister im Viertel."
Mit der Beantwortung dieser Frage lässt sich die Autorin Zeit. Eine Menge sogar. In der Zwischenzeit lernen wir Hilary besser kennen und beobachten, wie sie und Alessandro sich nach all den Jahren wieder neu finden. Was in Alessandros und Hilarys Kindheit passiert ist und vor allem was zwischen den beiden in der Wohngruppe geschah, wird nur hier und da angedeutet, was jedoch ausreicht, um die Spannung oben und die Stimmung eher düster zu halten. Die Donnerstags-Verabredungen der beiden, bei denen sie New York erkunden und sich gegenseitig zu unbekannten Plätzen führen, bringen zwar etwas Licht und Leben in die Geschichte, dennoch herrschen hier ernstere Themen vor. Dieses "wir-erkunden-gemeinsam-eine-Großstadt-und-kommen-uns-dabei-näher"-Motiv ist ja nicht gerade neu und wurde von der Autorin ja auch schon bei Band 1 genutzt, um Lexi und Alessandro zusammenzubringen. Dennoch hat mir gut gefallen, wie die sonst recht eintönige und von Wiederholungen geprägte Geschichte durch süße und stimmige Szenen aufgepeppt wurde.
"Alessandro tritt hinter mich und schlingt seine Arme um meine Taille, und ich schließe die Augen und höre zu. Wie damals stelle ich mir vor, dass die Töne in die Luft aufflattern wie Schmetterlingsflügel, aber diesmal macht es mich nicht traurig. Ich fühle mich nicht gefangen, sondern bin endlich frei. Ich lasse meine Geheimnisse los, und alles andere. Meine Angst, meine Wust. Ich komme endlich aus dem dunklen Tunnel, in dem ich so lange gelebt habe, und je fester Alessandro mich hält, desto freier fühle ich mich."
Der Aufbau, der ja bei Band 1 einer meiner Hauptkritikpunkte war, gefällt mir hier also viel besser. Auch hier lässt Lisa Desrochers jedoch Punkte. Viele Konflikte werden zwar stark gestartet, verlaufen sich aber bald im Nichts, oder werden abrupt abgeschlossen. Besonders kritisch ist das natürlich bei Alessandros und Hilarys Annäherung, die zwar insgesamt stimmig eingebunden, aber leider auch von Sprüngen und plötzlichen Meinungsänderungen geprägt ist. Die zentrale Entwicklung verläuft leider viel zu schnell und offenbart, dass die Autorin es leider versäumt hat, die Auflösung des Konflikts stimmig zu inszenieren. Diese leichten Brüche lassen sich jedoch nicht nur bei Alessandros und Hilarys Beziehung, sondern auch bei der Sache mit Hilarys Mutter, dem Verlauf ihrer einseitigen Beziehung zu Brett, oder ihrer Einstellung zum Theater beobachten.
"Ich kann dir nichts anderes bieten als schmerzliche Erinnerung und meine zerrissene Seele, aber ich liebe dich und wenn du mich lässt, werde ich dich immer lieben."
Anstatt genau diese Entwicklungen über die mit knapp 450 Seiten recht umfangreiche Geschichte zu strecken, kommen viele Erkenntnisse viel zu schnell und "out-of-nowhere", während auf anderen Vorkommnissen ewig herumgekaut wird. Manche Szenen doppeln sich sogar so sehr, dass ich ab und zu einen kurzen Blick auf das Kapitel geworfen habe, um mich zu versichern, dass ich nicht aus Versehen zurückgesprungen bin. Etwas ungeschickt ist auch, dass die Autorin immer wieder Flashbacks aus der Zeit der Wohngruppe einstreut, diese jedoch nicht klar gekennzeichnet sind. Ab und zu verändert sich die Zeitform der Erzählung, bei einem Rückblick, manchmal hat mich diese Übereinanderlagerung der Damals- und Heute-Szenen jedoch komplett überraschend getroffen und sehr verwirrt. Kritisch würde ich außerdem anmerken, dass Lisa Desrochers hier ab und zu sehr eindeutige Andeutungen fallen lässt, die die Wendung vorwegnehmen. Dies führt jedoch nicht wie wahrscheinlich gewünscht dazu, dass in den jeweiligen Szenen die Spannung steigt, sondern hinterließ bei mir eher Fragezeichen und ein Stirnrunzeln. Und wenn wir schon bei Fragezeichen und Stirnrunzeln sind - Auch Sätze wie "Ich kann mich nicht erinnern, dass Mallory je vor mir geweint hätte", werfen Fragen auf, da mir spontan zwei Szenen eingefallen sind, in denen Hilary ihre große Schwester weinen gesehen hat.
"Es ist natürlich deine Entscheidung, aber wenn du ihn erstmal abbeizen willst, damit du siehst, was unter den ganzen Lackschichten zum Vorschein kommt, helfe ich dir gerne." Na klar, das kann er gut - Schichten abtragen und nachsehen, was drunter ist. Er macht das jedes Mal, wenn wir zusammen sind. (...) Diese ganzen Lackschichten an der Oberfläche, ist das der Kleber, der den Tisch zusammenhält? Und plötzlich fasse ich einen Entschluss. Ich werde nicht zulassen, dass Alessandro noch mehr Schichten von mir freilegt. Aber vielleicht kann ich ihm helfen, ein paar von seinen abzutragen."
Dennoch: Band 2 hat dem Auftakt der Reihe nicht nur einen substanziellen Konflikt, Konflikt, Spannung und Emotionen voraus, auch die Figuren können hier punkten. Alessandro ist mir ja schon in Band 1 sehr ans Herz gewachsen, weshalb es mir sehr gut gefallen hat, dass wir hier erfahren mehr Hintergründe zu ihm erfahren und ihn von einer anderen Seite kennenlernen. Seine eigenen Konflikte werden deutlich mehr in den Fokus gerückt, während er im ersten Teil mehr als Objekt der Begierde und Distraktion aufgetaucht ist. Auch mit unserer kämpferischen Protagonistin konnte ich wesentlich mehr anfangen als mit Lexi. Zwar verhält sich auch Hilary manchmal etwas paradox, dies wird jedoch durch ihre biografischen Überzeugungen, ihre Lerngeschichte und ihre Vergangenheit erklärt, sodass sie dennoch stimmig wirkt.
Fazit:
Solide und stellenweise starke Geschichte, die jedoch wieder leichte Schwächen im Aufbau hat. Wiederholungen, zu abrupte Entwicklungen und ungeschickte Vorausdeutungen nehmen der ansonsten atmosphärischen und mitreißenden Geschichte etwas die Spannung.