Ein anderer Zombieroman
Das Buch war ein Spontankauf am Bücher-Krabeltisch. Ich nahm es vor allem mit, weil es irgendwo hinten in meinem Kopf klingelte, schon mal positive Stimmen zu dem Buch gehört zu haben. Als ihr dann das ...
Das Buch war ein Spontankauf am Bücher-Krabeltisch. Ich nahm es vor allem mit, weil es irgendwo hinten in meinem Kopf klingelte, schon mal positive Stimmen zu dem Buch gehört zu haben. Als ihr dann das Buch prompt auf meine Leseliste für 2024 gesetzt habt, war meine Neugierde natürlich umso mehr geweckt. Mal schauen, ob es mich überzeugen konnte.
Wer ist das Monster?
Zombieromane sind ja nun wirklich nichts Neues und auch der vom realen Pilz Ophiocordyceps unilateralis inspirierte Verursacher ist spätestens seit The Last of Us in Kreisen von Fans des Genres ein Begriff. Einen Roman aber aus der Sicht einer Infizierten zu erzählen, anstatt den heroischen Kampf der letzten Überlebenden zu schildern, das kam noch nicht so oft vor. Zugegeben, völlig neu ist auch diese Idee nicht, man denke da nur an die Komödie Warm Bodies, aber während genannter Film/Romanvorlage eine satirische Romcom ist, geht M. R. Carey das Thema ernsthaft an und bringt mit diesem Perspektivenwechsel durchaus frischen Wind ins Genre.
Allgemein lässt sich sagen, dass Protagonistin Melanie das Beste an dem Roman ist. Gerade die erste Hälfte, in der man als Leser/in vor allem Melanie, ihre (eingeschränkte) Welt und ihre Denkweisen kennenlernt, hat mir ausgesprochen gut gefallen. Es ist diese Ambivalenz zwischen, kindliche Naivität und gleichzeitig erschreckender Intelligenz und Selbstreflexion, die Melanie so unglaublich faszinierend und komplex macht. Melanie weiß, dass sie eine Bedrohung für die Menschen ist, doch sie begreift die Welt mit einer Unschuld, die den/die Leser/in emotional stark anspricht und dies regt immer wieder dazu an, über fundamentale Grundsätze des menschlichen Zusammenlebens nachzudenken. Nicht umsonst spielt der Autor auch immer wieder ganz gezielt mit der, zwar bekannten, doch dadurch nicht weniger spannenden Frage: “Wer ist das wahre Monster?”, und hinterfragt, was Menschlichkeit eigentlich bedeutet. Auf diesen Ebenen hat mir der Roman wirklich gut gefallen.
Ein weiterer interessanter Aspekt des Romans ist die Beziehung zwischen Melanie und Miss Justineau, ihrer Lehrerin und Beschützerin. Die Verbindung der Beiden ist emotional und vielschichtig, aber auch rätselhaft. Miss Justineau zeigt eine außergewöhnliche Fürsorge für Melanie, fast mütterlich, und trotzdem bleibt die Natur dieser Beziehung bis zum Schluss schwer greifbar, also zumindest für mich. Ist sie eine Mutterfigur? Eine moralische Instanz? Oder sieht sie in Melanie eine Chance auf Erlösung in einer von Monstern dominierten Welt? Diese Mehrdeutigkeit lässt Raum für Interpretationen, was spannend sein kann, aber auch verwirrend und frustrierend, da es keine klar definierte Antwort gibt.
Von zu vielen und zu wenigen Worten
Doch ginge es mir nur um ethische Fragen und Sozialkritik allein, hätte ich zu einer Facharbeit greifen können. Von einem belletristischen Roman erwarte ich auch einen gewissen Unterhaltungswert und hier kommen wir bei Die Berufene ins Schwanken, vor allem ab der zweiten Hälfte. Denn während es zwar an brenzligen Situationen und “Überlebenskampf” nicht mangelt, hatte ich doch irgendwann das Gefühl, dass die Gruppe auf der Stelle tritt. Ich begann mich zu fragen, wo diese Geschichte hinführen sollte, was bei mir viel der Spannung herausnahm. Ich sehe, dass der Autor versuchte auch den Nebencharakteren mehr Tiefe zu verleihen und bis zu einem gewissen Grad ist ihm das auch gelungen, aber trotzdem bleibt das Gefühl, dass man hier auch hätte kürzen können, gerade wenn man sich danach das Ende vor Augen führt.
Denn mit diesem ist das so eine Sache. Auf der einen Seite ist die Idee genial und, hier lehne ich mich mal aus dem Fenster, in dem Genre so wohl tatsächlich noch nie dagewesen. Aber gerade, weil die Idee so gut ist, war ich ziemlich enttäuscht, wie überhastet und unbefriedigend es abgehandelt wird. Dabei ist nicht der offene Charakter des Endes das Problem, sondern vielmehr, dass man als Leser/in keine Chance bekommt, die Wege und Wendungen, die zu den Entscheidungen am Ende führten, wirklich nachvollziehen zu können. Vieles scheint aus heiterem Himmel zu kommen, das frustriert. Da hätte ich mir gewünscht, dass ein gutes Stück aus dem Mittelteil gekürzt worden wäre, um dem Ende dafür mehr Raum zu geben.
Fazit:
Die Berufene von M. R. Carey bringt frischen Wind ins Zombiegenre, vor allem durch den gekonnten Perspektivenwechsel zwischen “Monster” und Mensch und punktet mit einer hochkomplexen und faszinierenden Protagonistin. Dennoch verliert die Geschichte nach einem starken Beginn zunehmend an Fahrt, und die Handlung zieht sich in der zweiten Hälfte spürbar. Das vielversprechende, aber zu hastig abgehandelte Ende verstärkt den Eindruck, dass der Roman Potenzial verschenkt. Insgesamt blieben gemischte Gefühle bei mir zurück und vor allem der Gedanke, dass hier mehr drin gewesen wäre.
Folge mir ;)
Diese Rezension erschien zuerst auf meinem Blog: Miss Pageturner. Folgt mir dort um meine Rezensinen mit zusätzlichem Coververgleich Deustch/Original, aktuelle Neuerscheinugen-Übersichten und andere Artikel imer zuerst zu lesen.