Liebe Laura, in Ihrem Buch „Berühre mich. Nicht." geht es um Sage, die ohne jegliches Hab und Gut – außer dem Auto, in dem sie schläft – nach Nevada zieht und dort ein völlig neues Leben am College beginnen will. Dort trifft sie auf Luca, der in der Bibliothek arbeitet und all das verkörpert, wovor sie Angst hat. Gibt es einen bestimmten Moment, in dem Sage ihre Ängste über Bord wirft?
Nein, diesen einen Moment gibt es nicht, denn Sage hat nicht einfach nur Angst, sie leidet an einer Angststörung. Könnte sie es, würde sie ihre Furcht sofort über Bord werfen, aber sie kann es nicht. Diese Angst ist in ihr verwurzelt und ein Teil von ihr, ob sie will oder nicht. Ihr Verstand begreift auch oft, dass diese Furcht, die sie verspürt, unlogisch ist, aber es ist, als wäre ihr Körper nicht ihr eigener. Er handelt gegen jegliche Vernunft. Mit dieser Angst umzugehen, sie zu akzeptieren und sie im Alltag zu bewältigen, ist ein stetiger Lernprozess für Sage. Und das zeigt sich auch in ihrer Beziehung zu Luca. Am Anfang hält sie es kaum aus mit ihm in einem Raum zu sein, aber mit der Zeit realisiert sie, dass ihre Furcht unbegründet ist. Dennoch finden sich die beiden immer wieder in Situationen wieder, die Sages Angst triggern und sie in eine Panikattacke treiben, auch wenn es das Letzte ist, was Sage für sich und Luca möchte.
Der Buchtitel „Berühre mich. Nicht“ deutet schon auf die Unentschlossenheit und die Ängste der Protagonistin hin. Einerseits will sie Luca, anderseits hat sie auch noch nicht verarbeitet, was ihr geschehen ist. Wie zeigt sich das in dem Roman?
Es zeigt sich vor allem durch Sages eigene Unentschlossenheit, ihre Zerrissenheit und teils auch durch ihre Wut auf sich selbst. Denn sie möchte auf Partys gehen, spontane Ausflüge unternehmen, mit Luca zusammen sein und eine normale, gesunde Beziehung führen können, aber ein Teil von ihr lässt dies nicht zu. Sie empfindet häufig Frust über ihre Situation und hinterfragt sich selbst, weil sie nicht versteht, womit sie dieses tragische Schicksal verdient hat. Deutlich wird diese Zerrissenheit in ihren Gedanken, aber auch durch ihre Panikattacken, die sie immer wieder überfallen, auch in Momenten, in denen sie eigentlich glücklich sein möchte.
Ihre Geschichte greift auch ein trauriges Thema auf: Missbrauchsfälle in der Familie. Was hat Sie zu diesem schwierigen, aber auch wichtigen Thema inspiriert?
Vor allem die Romantisierung in vielen anderen Büchern dieses Genres. In den meisten dieser Geschichten sind es ebenfalls Mädchen oder junge Frauen die Opfer häuslicher Gewalt werden. Diese Dinge werden dann als „dunkles Geheimnis“ verkauft und präsentiert. Es wird darum herumgetanzt und erst am Ende des Romans wird die Sache für das tragische Finale aufgelöst, obwohl die Leser sich eigentlich längst denken können, was da vorgefallen ist. Doch über die Konsequenzen dieses Missbrauchs wird nicht wirklich gesprochen. Auch Sage verbirgt ihre Vergangenheit vor Luca und ihren Freunden, weil sie nicht bemitleidet werden möchte, aber mit dem Leser ist sie von der ersten Seite an ehrlich. Durch sie will ich zeigen, was für Folgen ein solch traumatisches Erlebnis haben kann und das Liebe kein Heilmittel ist. Lieben kann helfen und eine Stütze sein, aber sie kann diese Dinge niemals ungeschehen machen, und löst Ängste und Zweifel, die sich über Jahre angesammelt haben, nicht in Luft auf. Aus diesem Grund war es mir auch wichtig, dass Sage sehr früh im Roman erkennt, dass sie professionelle Hilfe braucht und daher eine Psychologin aufsucht, die sie durch beide Bücher begleitet.
Sage hat den Mut, ein komplett neues Leben zu starten und sich von ihrem alten Leben loszureißen. Hatten Sie selber schon einmal das Verlangen, komplett neu zu starten?
Nein, das hatte ich noch nicht. Natürlich verspüre ich – wie vermutlich jeder – hin und wieder den Drang nach Veränderung, aber das Verlangen all meinen Besitz zu packen und mich irgendwo 5.000 Kilometer weit weg von zu Hause abzusetzen hatte ich noch nie. Ich glaube auch nicht, dass ich mutig genug dafür wäre, einen solch extremen Schritt zu wagen. Ich hätte Angst vor der Einsamkeit, aber Sages Angst vor ihrem Peiniger ist größer als die von dem Alleinsein, weshalb sie diese Entscheidung für sich treffen muss.
Sie sind auf den Social-Media-Kanälen sehr gut vernetzt. Wie wichtig ist Ihnen der regelmäßige Austausch mit den Lesern und auch mit Ihren Kollegen?
Unheimlich wichtig, denn ohne diesen Austausch wäre das Autorensein für mich ziemlich einsam. Tag ein Tag aus alleine an meinem Schreibtisch sitzen und Geschichten zu erzählen, ohne über sie zu reden und darüber diskutieren zu können, wäre nichts für mich. Ohne meine Kollegen, die mir mit Rat und Tat zur Seite stehen oder mir in Momenten der Frustration ein offenes Ohr leihen, wäre ich wohl längst durchgedreht. Denn unser Beruf ist schon ein sehr spezieller, wir können nicht einfach ins Büro gehen und es nach acht Stunden wieder verlassen, wir sind ständig in unserem Kopf und in unseren eigenen Geschichten gefangen, und das ist ein Zustand der häufig nur von anderen Autoren richtig verstanden werden kann. Und mich mit Lesern auszutauschen zeigt mir einfach, dass es die Mühe und die Zweifel wert sind. Erst ihre Eindrücke machen meine Bücher wirklich lebendig. Denn jeder Mensch liest meine Geschichten anders, nimmt etwas Anderes daraus mit, findet Aspekte großartig oder womöglich ganz furchtbar, aber wie die Meinungen auch ausfallen, es gibt mir unheimlich viel mitzubekommen, wie meine Geschichten diese Leute berührt haben. Sie geben mir das Gefühl, gehört zu werden und darum geht es uns Autoren – uns Geschichtenerzählern – doch.
Ihr Buch spielt in Nevada. Warum haben Sie sich dazu entschieden, die Geschichte nicht in Deutschland, sondern in den USA spielen zu lassen?
Für mich war das gar keine richtige Entscheidung, denn es gab immer nur diese eine Option. Ich persönlich lese einfach viel lieber Geschichten, die in „fremden Welten“ spielen, die mich entführen und meinen Alltag – zu dem auch Deutschland gehört – entreißen. Weit entfernte Länder gehören da einfach dazu und Amerika ist für das Genre in dem sich „Berühre mich. Nicht.“ bewegt einfach sehr typisch. Ich mag das!
Manche Autoren schreiben jahrelang an ihren Büchern, bei wiederum anderen entsteht das Buch quasi über Nacht. Wie war das bei Ihnen?
In gewisser Weise ist der Roman über Nacht, aber gleichzeitig über zwei Jahre entstanden. Die erste Fassung des Buches (damals war die Geschichte von Sage und Luca noch ein Einzelband) ist im Herbst 2015 innerhalb von gut zwei Monaten und während eines Schreibwettbewerbs entstanden. Anschließend wurde es von mir überarbeitet und war dann erst einmal fertig, bis es von LYX eingekauft worden ist und meine Lektorin den Vorschlag gemacht hat zwei Bände daraus zu machen. Ich war sofort Feuer und Flamme für diese Idee, da ich bereits in der Überarbeitung gespürt habe, dass die Geschichte nicht vollständig erzählt ist. Doch gleichzeitig ging damit die Arbeit von vorne los, da Inhalte und Erzählstränge neu arrangiert werden mussten, was im Herbst 2016 passiert ist, ein Jahr nachdem das Buch eigentlich schon fertig war.
Wer darf Ihre Bücher als erstes lesen? Und Hand aufs Herz: Vor welcher Rückmeldung haben Sie am meisten Respekt?
Bereits während des Schreibprozesses bekommen meine Schreib- und Autorenkollegen vereinzelt Auszüge aus dem Text zu lesen, wenn ich mir an bestimmten Stellen unsicher oder auf einen Absatz besonders stolz bin. Sobald der Roman fertig ist bekommen ihn in der Regel meine Betaleser zu lesen, manchmal kommen auch noch weitere Testleser dazu. Ihre Meinung ist mir schon besonders wichtig, vor allem mit meinen Betalesern arbeite ich inzwischen viele Jahre zusammen. Sie kennen meinen Stil und ich kenne ihren Geschmack, wodurch ich sehr gut abschätzen kann, welche Kritik wirklich wertvoll ist und was ich vielleicht verwerfen kann. Den meisten Respekt habe ich allerdings vor der Meinung meiner Lektoren. Sie sind die Profis und haben noch einmal ein ganz anderes Gefühl und Verständnis für Geschichten. Zudem sind sie diejenigen, die am intensivsten mit mir an meinen Texten arbeiten und sie vermutlich fast genauso oft lesen wie ich, wodurch sie vieles noch einmal genauer und deutlicher bewerten können.
Das Buch endet mit einem spannenden Cliffhanger! Können Sie uns schon etwas zu Band 2 „Verliere mich. Nicht.“ verraten?
Nein, das wäre doch irgendwie witzlos, oder?