Das ewige Streben nach Perfektion
„Dich tanzen zu sehen“ von Maggie Shipstead (16,90€, erschienen am 20.11.15 in der dtv Verlagsgesellschaft)
Joan Joyce, Balletttänzerin im Corps, steht kurz vorm Ende ihrer Karriere, denn sie ist schwanger. ...
„Dich tanzen zu sehen“ von Maggie Shipstead (16,90€, erschienen am 20.11.15 in der dtv Verlagsgesellschaft)
Joan Joyce, Balletttänzerin im Corps, steht kurz vorm Ende ihrer Karriere, denn sie ist schwanger. Überstürzt heiratet sie ihren Schulfreund Jacob Bintz und zieht mit ihm von New York nach Kalifornien, doch so richtiges Familienglück will sich nicht einstellen. Als ihr Sohn Harry in der Ballettschule Talent zeigt und sich auf nach New York in ein Sommertraining aufmacht, wird immer mehr die Ähnlichkeit zu Arslan Rusakow sichtbar, dem Joan zur Flucht aus der Sowjetunion verhalf und mit ihm eine kurze leidenschaftliche Beziehung hatte. Zudem scheint sich das Liebesdrama in ihrem Sohn Harry und dem Nachbarskind Chloe, die auch Tänzerin ist, zu wiederholen.
Das Cover zeigt eine schwarzhaarige Frau in einem gelben kurzen Kleid mit dunklen Strumpfhosen, die etwas verschwommen ist und scheinbar tanzt. Das Cover finde ich einerseits passend, weil es ja um das Tanzen geht, andererseits auch wieder nicht, weil es mit dem Gelb einfach zu fröhlich ist und ihm Buch meistens eher eine etwas bedrückte Stimmung herrscht. Der Titel „Dich tanzen zu sehen“ passt sehr gut, denn Jacob scheint sich mehr in die tanzende Joan verliebt zu haben, als die Joan, die er geheiratet hat. Überhaupt ist das Ballett, die Aufführungen und damit auch das Anschauen der Tänzer immer wieder Thema.
Der Schreibstil ist der Autorin ist sehr angenehm, dennoch nimmt sie kein Blatt vor den Mund und beschreibt keine rosarote Tanzwelt sondern auch die dunkleren Seiten, die das Ballett mit sich bringt. So thematisiert sie auch den Konsum von Drogen wie Koks und Marihuana unter den Tänzern ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, genauso wie Sexualität, Alkohol und das Rauchen.
Die gesamte Geschichte ist in fünf Teile unterteilt, wobei der letzte Teil nur ein Kapitel umfasst. Die Teile spielen zeitlich nicht in einer chronologischen Reihenfolge, so dass der Leser einiges Details aus Joans Vergangenheit erst später erfährt, dadurch wird die Spannung aufrecht erhalten und die Geschichte nicht so vorhersehbar. Allerdings habe ich diese Sprünge zwischen Gegenwart und Vergangenheit am Anfang als etwas chaotisch empfunden, aber dann im Verlauf in den Rhythmus der Autorin gefunden und am Schluss erst den Sinn darin gefunden.
Die Charaktere sind schlüssig und haben ihre Ecken und Kanten. Das war leider am Anfang für mich das Problem, weil es dadurch keinen wirklichen Sympathieträger gab, mit dem ich mich identifizieren konnte. Aber das Durchhalten zahlt sich aus, denn die Geschichte fesselt einen und man beginnt die Charaktere auch mit ihren Fehlern zu verstehen.
Leser, die nicht gerne Bücher lesen, die in der Vergangenheit spielen, sollten sich nicht abschrecken lassen. Ich bin auch kein großer Geschichtsfan und das Buch hat mich trotzdem in seinen Bann gezogen. Die Flucht aus der Sowjetunion wird zwar thematisiert, aber nur aus der tänzerischen Sicht und nicht aus der politischen.
Die Kapitel, in denen die Charaktere tanzen, sind einer meiner liebsten Stellen. Selbst als Ballett-Laie kann man die Bewegungen während des Lesens fühlen - fast wie virtuelle Ballettaufführung. Man erwischt sich dabei, wie man die Beine und Füße mit den Tänzern streckt bzw. beugt.
Das Ende ist offen und wirklich gut gewählt. Ein Happy End wäre total unrealistisch gewesen und hätte der Stimmung im Buch nicht entsprochen. Ich nehme aus dem Buch mit, dass das Streben nach Perfektion nicht alles ist und jemand der nach außen hin perfekt scheint, es im Inneren gar nicht ist, und man sich durch so etwas nicht einschüchtern lassen soll, man selbst zu sein!
Zusammenfassend gesagt:
Eine Ballettgeschichte, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Das ewige Streben nach Perfektion. Von mir gibt es eine Leseempfehlung!